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Ist der Jangtse von allen guten Geistern verlassen?

Von Heike Hausensteiner, Jangtse Kiang

Politik

Wenn es allzu viel regnet, führen Flüsse Hochwasser. So derzeit auch der Jangtse Kiang in China. Der Vorbeugung neuerlicher Überschwemmungskatastrophen diene der Drei-Schluchten-Staudamm am Jangtse, lautet eines der Argumente der Regierung in Peking für das umstrittene Projekt. Nächstes Jahr soll mit der Stauung des drittlängsten Flusses der Welt begonnen werden.


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Die Einschiffung erfolgt in der Millionenmetropole Chongqing in Mittelchina. Am frühen Morgen legt die "Isabella 2", ein Passagierschiff der Mittelklasse, ab. Wir haben uns für die Drei-Tages-Fahrt flussabwärts nach Osten entschieden. Auch die entgegengesetzte Richtung, beginnend in Yichang bei Wuhan, ist möglich. Noch am Vormittag erreichen wir die Qutang-Schlucht. Die Chinesen nennen sie auch "Blasebalg-Schlucht": Die Felswände fallen steil herab und rücken an den beiden Ufern des Jangtse eng zusammen. Stellenweise ist das Flussbecken hier nur 100 Meter breit. Man vermag kaum, bis auf die Felskante in 1000 Meter Höhe zu blicken. Mit acht Kilometern Länge ist die Qutang-Schlucht die kürzeste der drei berühmten Schluchten. In weniger als einer Viertelstunde haben wir das landschaftliche Kleinod hinter uns gelassen. Aber der kurze Eindruck ist bleibend.

Durch das Wu-Gebirge

Es herrscht reger Schiffsverkehr am Jangtse. Das liegt nicht nur an den neugierigen Touristen. Für sie sind die fast 700 Kilometer, entlang derer sich eine Schlucht an die andere reiht, weil sich der Jangtse durch das Wu-Gebirge zwängen muss, eine Attraktion. Der 6.300 Kilometer lange Fluss ist aber vor allem die Verkehrsstraße für derzeit 75 Prozent des Gütertransportes innerhalb Chinas. Hin und wieder begegnet uns ein Frachtschiff mit Unmengen Sperrmüll an Bord. Auch die am Flussufer abgebaute Kohle wird mit Frachttankern abtransportiert. Durch die endgültige Realisierung des Drei-Schluchten-Projektes will China die Güterverkehrskapazität am Jangtse weiter von zehn auf 50 Millionen Tonnen pro Jahr steigern und so Transportkosten einsparen. Einige Kohlebergwerke hoch oben am Ufer sind bereits aufgelassen. Sie scheinen seit Jahren still zu liegen und sind mittlerweile von Gestrüpp überwuchert.

China ist mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Erde, bis zur Jahrhunderthälfte werden 1,5 Milliarden prognostiziert. Menschen können wir entlang des Jangtse-Ufers aber kaum sehen. Nur einige Arbeiter, die Felssprengungen durchführen. Bis der Jangtse gestaut sein wird, müssen schließlich noch Brücken und Autobahnen gebaut werden. Längst haben die Menschen hier ihre Häuschen, Hütten und Einheitswohnungen aufgeben müssen. Die verlassenen Ortschaften muten wie Geisterstädte an, nichts als von Braunkohle verfärbte Fassaden. Weiter oben hat das offizielle China dafür weiß blitzende Siedlungen neu errichten lassen. "Wirtschaftliches Entwicklungsprojekt", sagt Peking dazu. Die Betroffenen wollen es, nach außen hin, auch wirklich glauben, dass die für sie errichteten "sozialen" Wohnbauten eine Verbesserung sind.

Prestigeobjekt

Wenn man den offiziellen Angaben der Volksrepublik Glauben schenken darf, werden 1,3 Millionen Menschen wegen des wirtschaftlichen Prestigeprojektes umgesiedelt. Undenkbar, auch nur 50.000 Menschen in Europa abzusiedeln. In Fengdu, "der Stadt der Geister", wo wir kurz an Land gehen und reges Treiben herrscht, werden die mit Garküchen, Obst- und Gemüseständen gesäumten Gassen überschwemmt sein. Der Wasserstand wird bis zum Eingangstor des Mingshan-Berges reichen, auf dem in zahlreichen Tempeln und Pagoden Geister und Dämonen dargestellt sind. Die Flutung des Jangtse-Staudammes wird nicht nur die Landschaft verändern und Maisfelder verschwinden lassen.

Am entfernten Ufer ist die Metermarkierung mit freiem Auge gerade noch erkennbar: Bis auf 135 Meter soll der Jangtse ab nächstem Jahr geflutet werden. Maximal 175 Meter sollen erreicht werden. Die Stromschnellen werden dann im schmutzigen Jangtse, der offensichtlich größten Abwasseranlage Chinas, verschwinden.

Die Wu-Schlucht oder "Hexenschlucht", die wir am zweiten Tag erreichen, gilt als "Zauberschlucht". Sie ist an die 40 Kilometer lang. An den waldbedeckten Berghängen ragen die "zwölf Märchengipfel" bis zu 900 Meter empor. Die Chinesen sind ein phantasievolles Volk. Der Sage nach sitzt auf der Spitze der Märchengipfel eine Göttin, die jedem Glück bringt, der sie erkennt.

Keine Fata Morgana, sondern von den Zaubergipfeln aus tatsächlich zu sehen ist die Xiling-Schlucht. Bevor wir in diese letzte große Schlucht (Länge: 66 km) einfahren, machen wir einen Ausflug in einen schmalen Seitenarm mit Holzbooten. Sobald wir die braune Brühe des Jangtse hinter uns gelassen haben, empfängt uns malerische Idylle: Das Wasser schimmert türkisfarben in der maximal zehn Meter breiten Schlucht. Das kristallklare Wasser ist für ein Fußbad gerade gut genug. Und selbst an dem scheinbar abgeschiedenen Ort keilen uns Souvenirhändler an. Für uns muss es ein dicker "lachender Buddha" sein. Flussabwärts geht es zurück und wieder an Bord des Jangtse-Schiffes. Der reizvolle Seitenarm wird bald tief unter Wasser liegen.

Die Xiling-Schlucht passieren wir am letzten Tag gleich nach Sonnenaufgang. Sie ist die größte der drei Schluchten. Die gefährlichen Klippen und tückischen Stromschnellen hat man durch Sprengungen in den Griff bekommen. Um der Natur Herr zu werden, bedient sich Mensch auch unlauter Mittel.

Das größte Flusskraftwerk

2.500-75-185 sind die ultimativen Maße: Der Jangtse-Staudamm, den wir unmittelbar nach der Xiling-Schlucht erreichen, wird 2.500 Meter lang sein, 75 Meter breit am Fundament und 185 Meter hoch über dem Meeresspiegel gebaut. Zehn Meter darunter soll der maximale Wasserstand liegen.

Die dutzenden Kräne lassen auf die Intensität schließen, mit der das Bauwerk voranschreitet. 13.000 bis 23.000 Beschäftigte arbeiten an der Baustelle. Hier, bei Sandouping, entsteht das größte Flusskraftwerk der Welt, nach Itaipú zwischen Brasilien und Paraguay. Die geplante Leistung des Drei-Schluchten-Staudammes (geschätzte Kosten: 25 Mrd. Dollar) entspricht der von acht Atom- oder 30 Kohlekraftwerken. Nach der Fertigstellung im Jahr 2009 soll das Kraftwerk einen Gutteil von Chinas wachsendem Strombedarf abdecken. Inexistent ist eine Diskussion über Energieeinsparungen - das Gegenteil ist der Fall. Der Westen ruft, und die Volksrepublik hat Nachholbedarf.

Die Idee vom Drei-Schluchten-Staudamm ist alt und stammt aus dem Jahr 1919. "Hochwasserschutz" lautet eines der Hauptargumente dafür. Die aktuelle Flut, die bereits mehreren tausend Tote forderte, scheint der Pekinger Regierung Recht zu geben. Überschwemmungen am Jangtse sollen seit 1870 insgesamt 720.000 zum Opfer gefallen sein. Nach dem Hochwasser 1954 (30.000 Tote) wurde die Planung ernsthaft in Angriff genommen.

Stromversorgung versus ökologische Bedenken

Dagegen spricht nicht nur, dass mehr als eine Million Menschen ihr zu Hause verlassen müssen. Ökosysteme werden zerstört - wo neue entstehen, bleibt abzuwarten. Über die Folgen des auf mehr als 600 Kilometer gestauten schmutzigen Jangtse sind die Experten uneins. Es werde kaum zu örtlichen Klimaveränderungen kommen, wird offiziell beteuert. Denn die Wasserfläche im gestauten Bereich betrage mehr als 1.000 km², nicht 60.000 km², wie Kritiker behaupten. Außerdem rangiere das fertige Projekt ohnehin unter den zehn wasserreichsten Stauseen der Welt: Der Jangtse-Stausee wird ein Volumen von 39 Milliarden m³ Wasser fassen; das ist ein Viertel des Assuan-Staudammes in Ägypten. Kritiker führen weiters Hangrutschungen ins Treffen; im Staubereich sollen die Schwankungen bis zu 30 Meter betragen. Den Bedenken wird entgegen gehalten, im Staugebiet gebe es keine Gefahr von Erdbeben. Von den Natur- und Kulturgütern, die verloren gehen, drohen mehr als 1.000 archäologische Stätten überschwemmt zu werden. Diese sollen ebenfalls abgesiedelt und anderswo aufgebaut werden, sollten sie nicht an Ort und Stelle abgesichert werden können. Offen ist die Frage, inwiefern die Industrieruinen unter Wasser eine tickende ökologische Bombe sind. Die Menschen am Jangtse ertragen es - wie vieles andere auch - mit Fassung, noch.

Destination weiter im Programm

Eine Jangtse-Kreuzfahrt haben in Österreich alle Reiseveranstalter im Programm, die Rundreisen durch das Reich der Mitte anbieten (wie Jumbo Touristik, Tai Pan, Ruefa Reisen, der Akademische Reisedienst oder Dr. Maiers Studienreisen).Jumbo Touristik, der nach eigenen Angaben größte Asienreise-Anbieter, bietet das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Rundreisen mit Jangtse-Kreuzfahrt werden als zwei- bis dreiwöchige Touren angeboten und kosten je nach Saison ab 2.000 Euro.

Die China-Reiseveranstalter werden trotz Flutung ab nächstem Jahr (der genaue Zeitpunkt wird nicht bekannt gegeben) Jangtse-Kreuzfahrten "selbstverständlich" im Programm haben, bestätigte Richard Senft von Jumbo Touristik auf Anfrage der "Wiener Zeitung".

Einige Termine für nächstes Jahr seien sogar bereits ausgebucht.

Die beste Reisezeit ist von Frühjahr bis Spätsommer. Im Winter wird die Schifffahrt am Jangtse eingestellt.