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Es ist immer "etwas faul", wenn ein freundlicher Zahnarzt mit den Worten "Tut gar nicht weh!" zum sirrenden Bohrer greift. Was da faul ist, entzieht sich aber in vielen Fällen der Blickdiagnose des Fachmannes. Denn die aggressivsten der gut 500 Mundbakterienarten verrichten ihre Arbeit im Stillen: Sie verursachen Karies, lassen Zahnstein entstehen, entzünden die Mundschleimhaut, greifen das Zahnstützgewebe an, lockern Zähne, legen Nerven blank und lahm und bilden spätestens dann einen versteckten Krankheitsherd. Ein solcher kann Nierenleiden, Gelenk- und Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Depressionen, Allergien, Ohrgeräusche, Sehstörungen und Rückenschmerzen auslösen und sogar Multiple Sklerose mitverursachen. Denn die Bakteriengifte sind in der Lage, die von ihnen befallenen Zähne zu verlassen und über das Blut andere Organe anzusteuern.
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Weder die Entgiftungsstrategien des Körpers noch seine Abwehr durch Entzündungsprozesse können die freigesetzen Gifte vollständig beseitigen. Stattdessen werden sie im Bindegewebe eingelagert und lassen neue Entzündungsherde entstehen. Nasennebenhöhle, Gallenblase, Blinddarm, Prostata, Nierenbecken und Herzklappen sind beliebte Orte. Schuld daran ist nach wie vor eine mangelnde Mundhygiene, aber auch Zahnbehandlungen selbst und in seltenen Fällen ein Mikrotrauma, die winzige Verletzung eines Zahnes.
So kann die unliebsame Bekanntschaft eines Schneidezahnes mit der Kante eines Trinkglases unter Umständen den Nerv schädigen und entzünden. Thomas Busch, Zahnarzt in Homburg, behandelte vor Jahren einen Spieler des örtlichen Fußballclubs, der damals noch in der ersten Bundesliga mitmischte. Der Spieler war am Mund von einem Ball getroffen worden, ein Ereignis, das zunächst wirkungslos blieb. Doch wenige Wochen später klagte er bei einer zahnärztlichen Routineuntersuchung darüber, dass er sich den Trainingsanforderungen nicht mehr gewachsen fühle, er ständig schlapp und schwach sei. Ein Schneidezahn hatte unter der Wucht des Balles gelitten und sich unmerklich entzündet. Mit der schleichenden Infektion war die Abwehr des Spielers hoffnungslos überfordert.
Im Allgemeinen strebt die Zahnmedizin den Zahnerhalt an. In diesem Bestreben wird gebohrt, geschliffen, ausgeräumt, desinfiziert, gestopft, verfüllt, lahmgelegt und versiegelt was das Zeug hält. "Die Zahnmedizin ist die einzige medizinische Disziplin, für die es annehmbar erscheint, totes und infiziertes Gewebe im Körper zu belassen", kritisiert der St. Gallener Zahnarzt Peter Schmid. Sämtliche zahnerhaltenden Maßnahmen gingen nämlich davon aus, dass die Zahnhöhle nur an der Wurzelspitze geöffnet sei, und dass es genüge, sie steril zu verfüllen und gegen den Organismus abzudichten. Das aber eben reiche nicht, da ein Zahn pro Quadratmillimeter von rund 50.000 Kanälchen durchzogen sei, die unbehandelt blieben. In ihr nisten sich Bakterien ein, die ohne Sauerstoff auskommen und die in der Lage sind, ihre Form zu verändern, so dass sie auch noch Platz im Mikrosystem der Kanäle finden. Über dieses System finden auch die Bakteriengifte ihren Weg aus dem Zahn heraus.
Da ein wurzeltoter Zahn eine Entzündung nicht mehr wahrnimmt, kann es so zur Zystenbildung und Vereiterung im umgebenden Kieferknochen kommen, die wegen des fehlenden Schmerzempfindens nicht wahrgenommen wird.
Bleibende Infektion
Eine Art Glaubenskrieg wird unter Zahnärzten ausgefochten. Die einen sind gegen Wurzelbehandlung und für die rigorose und kompromisslose Entfernung entzündeter und toter Zähne, die anderen bestehen auf Zahnerhalt, um so lange wie möglich die Natürlichkeit des Gebisses zu bewahren.
Die "Zahnausreißer" warnen vor den Gefahren der Bakterien. So wies der Amerikaner Dr. Weston A. Price in einem 25 Jahre dauernden Versuchsprogramm nach, dass ein wurzelkanalgefüllter Zahn immer infiziert bleibt, egal wie gut er aussieht. Eine von ihm behandelte Patientin entwickelte beispielsweise eine schwere Arthritis. Der daraufhin gezogene Zahn wurde in die Rückenhaut eines Kaninchens verpflanzt, das nach zwei Tagen die gleichen Symptome entwickelte und wenige Tage danach starb.
"Zahnerhalter" warnen hingegen vor möglichen Kieferverformungen, wenn plötzlich durch eine Zahnlücke die Statik zusammenbricht. Die meisten Zahnärzte stehen aber wohl eher zwischen den Fronten.
So räumt Prof. Elmar Reich von der Universitätszahnklinik des Saarlandes ein, dass tatsächlich trotz Desinfektion und Verschluss Bakterien aus einer Zahnhöhle ausstreuen und dass trotz Wurzelspitzenentfernung Entzündungen fortschreiten können. Er weiß aber auch, dass der häufig praktizierte Stiftaufbau eines wurzelbehandelten Zahnes nicht immer der richtige Weg ist, da es zu Brüchen der Zahnsubstanz kommen kann. Mit Zahnersatz lasse sich auch selten eine vollständige Wiederherstellung der Gebiss-Eigenschaften erreichen. "Es gibt immer Einschränkungen im Knochen", sagt Reich.
Weisheitszahn: Abwarten
Neben toten Zähnen können auch Weisheitszähne zu Zeitbomben im Organismus werden und ihn "durch Entzündungen der Zahnsäckchen oder durch Druck auf den ins gesamte Nervensystem ausstrahlenden Trigeminusnerv belasten", weiß Thomas Busch.
Für Weisheitszähne ist im Laufe der Evolution der Kiefer zu klein geworden. Sollte man sie deshalb vorbeugend ziehen, wie manche Zahnärzte vorschlagen? "Auf keinen Fall. Studien aus England haben belegt, dass ein prophylaktisches Ziehen von Weisheitszähnen nicht erforderlich ist", beruhigt Reich. Es genüge, abgesehen von Einzelfällen, abzuwarten, bis sie Beschwerden machen.
80 Prozent der Deutschen haben Parodontitis. Unbehandelt führt sie zum Zahnverlust. Für Männer unter 60 Jahren stellt die Parodontitis einen größeren Risikofaktor für Herzinfarkt dar, als ein erhöhter Blutdruck. Die Gefahr einer Herkranzgefäßerkrankung steigt generell um 25 Prozent. Deshalb: Ein richtig gereinigter Zahn wird niemals krank. Darin sind sich alle Zahnärzte einig.
Die wichtigsten Regeln zur richtigen Mund- und Zahnhygiene Zucker meiden, oder danach sofort Zähne putzen. Gebürstet werden sollte zwei bis drei Mal täglich mit rotierenden Bewegungen und mit einer weichen Zahnbürste. Vor dem Putzen erst den Mund spülen. Für die Zwischenräume Zahnhölzchen oder -seide benutzen. Wenigstens einmal pro Jahr zum Zahnarzt, eventuell auch zur zwischenzeitlichen professionellen Zahnreinigung, die allerdings selbst gezahlt werden muss. Mundspüllösungen können vorbeugend wirken, ebenso Calcium reiche Kost.
Auf ungewöhnliche Beschwerden achten
Wie erkennt man einen Herd in den Zähnen? Achten Sie auf körperliche Beschwerden, die nicht zu erklären sind. Sie können auf einen geschädigten Zahn als Ursache hinweisen. Ein Milchzahn oder ein verlegter Zahn im Gebiss des Erwachsenen ist immer ein Störfaktor. Werden Zähne beschliffen, bietet der Zahnschmelz nur noch geringen Schutz gegen Bakterienangriffe.
Schwäche und Kollaps nach einer Zahnbehandlung können auch ein Indiz für eine Herderkrankung sein. Ebenso das gleichzeitige Auftreten von Zahn- und Kopfschmerz. Der Zahnarzt wird die Zähne mit thermischen oder elektrischen Reizen stimulieren. Tuts weh, lebt der Zahnnerv noch. Auch die Röntgenaufnahme zeigt, wo etwas faul ist.