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Ist die EU ein Friedensprojekt?

Von Walter Kühner (Bürgerjournalist)

Gastkommentare

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Die Europäische Union ist im Gegensatz zu ihrer Vorläuferin, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die als Befriedungsinstrument für Deutschland und Frankreich geschaffen wurde, kein deklariertes Friedensprojekt, sondern in erster Linie ein Wirtschaftsprojekt. Die EU hat allerdings einen hohen Grad an politischer Verflechtung erreicht; und eine solche ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Konflikte zivilisiert ausgetragen werden. Aber es ist keine hinreichende Vorraussetzung - das sollte nicht vergessen werden.

Friede bedeutet äußerer wie innerer Friede. Innerer Friede wiederum bedeutet sozialer Friede, und der setzt unabdingbar einen demokratischen Staat voraus, in dem alle Menschen ihr Auskommen finden, um menschenwürdig leben zu können.

Der seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte Wirtschaftsaufschwung kommt aber nun ins Stocken. Bei den Vorgaben zur Überwindung der Probleme in den Krisenländern wird vergessen, dass die drastische Sparpolitik der 1920er-Jahre in die Katastrophe der 30er-Jahre gemündet hat. Waren es damals Österreich und Deutschland, denen vom Völkerbund immer strikteres Sparen diktiert wurde, sind es heute die südeuropäischen Krisenländer, denen von den europäischen Verbündeten Sparpakete verordnet werden, die den in diesen Ländern ohnehin nicht besonders hoch entwickelten Sozialstaat aushebeln.

Löhne senken bei verlängerter Arbeitszeit, Arbeitslosengeld und Pensionen kürzen: das fordern EU-Kommission und EZB gebetsmühlenartig. Die großen Vermögen besteuern, die Banker-Bonuszahlungen per Gesetz limitieren - davon hört man nichts aus Brüssel.

Es ist keine gute Vorraussetzung für den sozialen Frieden, wenn die großen Fonds weiter spekulieren dürfen wie eh und je und zugleich die EU-Kommission den portugiesischen Mindestlohn (!) von 480 Euro als zu hoch ansieht. Die EU ist nicht nur formell keine Sozialunion.

Das letztlich ausschlaggebende Mittel für den friedlichen Zusammenhalt Europas ist - wie immer - das Geld. Wenn die finanziellen Mittel, die zur Angleichung der Lebensniveaus in Europa verhelfen sollen, versiegen oder die Sparvorgaben ein menschenwürdiges Leben verunmöglichen,  wird auch die integrative Kooperation ein Ende finden. Denn wozu sollte eine Regierung ständig in den Gremien mitpalavern, wenn aus der EU keine Hilfe zu erwarten ist? Ungarn befindet sich bereits auf dem Weg der selbstgewählten Ausgrenzung. Und das ist nicht nur der Regierung Orbán anzulasten.

Länder mit einem höheren Roma-Anteil in der Bevölkerung und Mittelmeerländer mit Migranten-Eintrittspforten werden allein gelassen. Vorgaben, Vorgaben und noch einmal Vorgaben - aber keine solidarische Unterstützung.

In Griechenland hat sich eine gewaltbereite Rechte formiert; in Ungarn ist sie schon länger präsent, weil das Land nach der Öffnung den wirtschaftlichen Anschluss nicht gefunden hat.  Beobachtungseinrichtungen der EU allein sind als Instrumente zuwenig gegen diese höchst bedenklichen Tendenzen.

Dazu kommt die sich abzeichnende identitätsmäßige Spaltung in Mittel-/Nordeuropa und Südeuropa - die Anfänge einer europäischen Entsolidarisierung.

Bei aller berechtigter Kritik an den Krisenländern wird gerne unter den Teppich gekehrt, dass es die europäischen Entscheidungsträger waren,
die in einem Akt blinder Hybris Griechenland den Euro nachgeworfen haben, obwohl bekannt war, dass die präsentierten Daten geschönt waren. Ein fataler Fehler, der zusammen mit jahrelangem Wegschauen der Fehlentwicklung in Griechenland einen exponentiellen Auftrieb gab, für die aber jetzt den griechischen Bürgern alleine die Zeche aufgebürdet wird.

Geordnete, rechtsstaatliche Abläufe sind Voraussetzung für Stabilität und positive Entwicklung. Unabdingbar dazu gehören klare, vernünftige Zielvorgaben und effiziente Kontrollen. Diese wurden im Fall Griechenland seitens der EU sträflich vernachlässigt. Generell wurde der berühmte europäische "warme Geldregen" (die Kohäsions- und Strukturfonds etc.) nach zu oberflächlichen Kriterien verteilt. Struktur wurde einseitig als Infrastruktur missverstanden. So stehen jetzt Länder wie Spanien und Portugal mit einem überproportionierten Straßennetz da. Nutzen: keiner. Verabsäumt wurde es hingegen, die Wirtschaftsstruktur dieser Länder zu verbessern.

In Rezessionszeiten werden mehr und noch effizientere Instrumente benötigt als in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs. Eine Renationalisierung zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein Rückfall in überwundene Zeiten und ein Brandbeschleuniger für Unfrieden.

Die Zeit der Bewährung steht erst bevor.