In ganz Österreich gibt es nur 126 Ganztagsschulen, davon 17 Gymnasien.
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Wien. Bundeskanzler Werner Faymann geht derzeit vieles zu langsam. Ganz besonders im Bildungswesen will er jetzt das Tempo erhöhen: Im kommenden Jahr, so verspricht der Bundeskanzler, sollen nicht 160 Millionen Euro in den Ausbau der Ganztagsschulen fließen, sondern 320 Millionen - also doppelt so viel. Und damit es ja für alle klar ist, fügt er hinzu: "Mir geht es um verschränkte Ganztagsschulen."
Die verschränkte Form ist aber laut Schulorganisationsgesetz nur möglich, wenn alle Schüler einer Klasse für den Betreuungsteil während der ganzen Woche angemeldet sind und zwei Drittel der Lehrer und zwei Drittel der Eltern einer solchen Form zustimmen. Wenn nicht, gibt es die normale Schule und dann Nachmittagsbetreuung.
Die Macht der Lehrer
Damit liegt es in der Macht der Lehrer, verschränkte Ganztagsschulen zu verhindern. Diese Macht will Schmied nun brechen. "Wir müssen den Modus komplett überdenken und zunächst einmal in die Angebote investieren. Was ist das für eine Wahlfreiheit, wenn ich kein Angebot habe?", sagte Schmied im Ö1-"Morgenjournal" am Mittwoch.
Das rückt die Bildungspolitik wieder in den Wahlkampf. Denn die SPÖ ist seit je her für die verschränkte Form der Ganztagsschule. Das heißt: täglicher Unterricht bis 18 Uhr möglich; Lernen, Förderung, Sport und Freizeit lösen einander ab. Eine "Schule ohne Schultasche" nennt Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) das. Die Volkspartei hat dafür einen anderen Namen geprägt: "Zwangstagsschule".
Die ÖVP präferiert Nachmittagsbetreuungsangebote und pocht auf Wahlfreiheit, wie zuletzt wieder Vizekanzler Michael Spindelegger. An diesen beiden Polen merkt man: Es geht um Ideologie. Kinder in Obhut von Institutionen oder Kinder in Obhut der Eltern, sprich Mütter.
Derzeit bieten von rund 5000 Schulstandorten in Österreich nur 126 Schulen Ganztagsunterricht in verschränkter Form an, davon wiederum nur 17 AHS, der Rest sind Pflichtschulen (Volksschulen, Hauptschulen, Neue Mittelschulen).
Schmied führt dies auf die hohen Hürden für die Einführung von Ganztagsklassen beziehungsweise Ganztagsschulen zurück. Bereits vor einem Jahr hat die Unterrichtsministerin dafür plädiert, die Entscheidung über die Führung einer verschränkten Ganztagsschule ganz den Eltern zu überlassen. Lehrervertreter konterten damals, dass ihnen kein Fall bekannt sei, in denen Lehrer die Einführung mit einem Veto blockiert hätten.
Auch diesmal sieht sich Schmied einer breiten Ablehnungsfront gegenüber. Theodor Saverschel, der Vorsitzende des Bundesverbands der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen, will die Vetomöglichkeit für ein Drittel der Lehrer aufrecht erhalten. "Wenn die qualifizierte Mehrheit eine Ganztagsschule möchte, dann soll es auch geschehen." Eine einfache Mehrheit würde zu viele Eltern und Schüler zwangsverpflichten.
Ablehnung kam auch von Lehrergewerkschafter Paul Kimberger (FCG), der keinen Grund sieht, an der Schulpartnerschaft zu rütteln. "Für mich besteht kein Zwang, irgendetwas an diesem Abstimmungsmodus zu ändern, die Wünsche einer Unterrichtsministerin stehen hier nicht im Vordergrund", sagte Kimberger.
Die ÖVP-nahe Schülerunion will die Entscheidung über die Form der Ganztagsschule am Schulstandort verankern. Auch die Schülerunion plädiert für die Beibehaltung der Zweidrittel-Mehrheit und hat auch noch eine Forderung parat: Auch die Miteinbeziehung der Schüler müsse gesetzlich verankert werden.
Harte Bandagen
"Mangelndes Demokratieverständnis" nannte die niederösterreichische Bildungslandesrätin Barbara Schwarz (ÖVP) den Vorstoß von Schmied. Es gäbe eine Alternative zur Ganztagsschule in verschränkter Form: "Unterricht am Vormittag und Betreuung in den Schulen samt Lernbegleitung und Freizeitgestaltung am Nachmittag." 380 solcher Standorte habe Niederösterreich im kommenden Jahr - und nur einen (AHS) mit verschränkter Form.
Einen härteren Ton schlug Noch-ÖVP-Bildungssprecherin Christine Marek an (sie wird dem neuen Nationalrat nicht mehr angehören). Geringere Hürden für verschränkte Ganztagsschulen kämen für ihre Partei nicht in Frage. Sie bezeichnete dies als "Zwangsbeglückung von Kindern und Eltern, die das weder brauchen noch wollen" und als "Kommunismus in Reinkultur".
"Wann beginnt der Kommunismus für die ÖVP, um 13 Uhr?" Grünen-Bildungssprecher Harald Walser riet Marek, doch gleich die Schulpflicht abzuschaffen, denn das wäre ja wohl aus Sicht der ÖVP auch Kommunismus. An solchen Aussagen zeige sich, dass die ÖVP eine leistungsfeindliche und eine familienfeindliche Partei sei. Wenn man nämlich Leistung von Kindern fordere, müsse man ihnen auch Anregungen dafür geben. Je länger Kinder an der Schule seien, desto länger reden sie und bringen sich aktiv ein. Zu Hause würden sie ohnehin nur den Fernseher oder Computer einschalten, sagt Walser.
Das bestätigt auch eine Studie. Demnach sitzen zehn Prozent der 11- und 12-Jährigen sechs und mehr Stunden täglich vor TV und PC, bei den 15- bis 16-Jährigen sind es sogar 23 Prozent.
"Die ÖVP ist familienfeindlich, weil sie Ganztagsschulen verhindert, und damit auch verhindert, dass in den Familien Ruhe einkehrt", sagt Walser. Ganztagsschule bedeute nämlich weniger Stress für Kinder, Lehrer und Eltern. Die Streitigkeiten zu Hause über Schulthemen und wegen des Lernens würden wegfallen, weil alles schon in der Schule erledigt werden könnte. Und bildungsferne Haushalte würden durch das Fehlen solcher Schulen doppelt bestraft, dort könne nämlich den Kindern bei den Hausübungen gar nicht geholfen werden.
"An einer modernen Schule führt kein Weg vorbei. Ich sehe das auch nicht als Ideologiestreit an, denn warum ist das in Südtirol, in Schweden, in England und in Teilen der Schweiz keine ideologische Debatte", meint Walser und verweist darauf, dass Halbtagsschule ein Phänomen des deutschsprachigen Raumes sei. "In England, Frankreich gibt es gar kein Wort für Ganztagsschule - da geht es einfach um Schule."
Weg mit den Pausen?
In Schulen, in denen es keinen leistungs- und lernhemmenden 50-Minuten-Rhythmus mehr gibt, in der lernstarke lernschwachen Schülern helfen, in denen kreative Freizeitangebote ebenso da sind wie Sportmöglichkeiten lerne es sich leichter. "Wir bräuchten eine Schule, die Leistung fordert, aber Schüler nicht bloßstellt", sagt Walser.
Viele Lehrer, die schon an einer Ganztagsschule unterrichtet haben, wollen gar nicht mehr an Halbtagsschulen gehen. Christina S. (40, Volksschullehrerin) musste nach ihrer Karenz die Schule wechseln und trauert ihrer Ganztagsschule nach. "Es war ein viel entspannterer Umgang zwischen Schülern und Lehrern, es war einfach weniger Stress. Alle hatten ihre Aufgaben am Abend erledigt. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich an einer Ganztagsschule unterrichten."
Aber derzeit ist es noch so, dass die meisten Lehrer die verschränkte Ganztagsschule ablehnen. Warum ist das so? "Es fehlt eine glaubwürdige Initiative", sagt Walser. Zuerst müsse man ein Investitionsprogramm fahren: Es brauche ordentliche Aufenthaltsräume für Lehrer und Schüler, es brauche Schulkantinen mit gesundem Essen. Wenn das da ist, werden auch die Lehrkräfte mitgehen", ist der Bildungspolitiker überzeugt. Bundeskanzler und Unterrichtsministerin sollten daher "nicht ankündigen, sondern tun".