Grünen-Bildungssprecher Harald Walser: Zum Erlernen der Kulturtechniken bleibt zu wenig Zeit.
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Wien. Vier von zehn Kindern können am Ende der Volksschule nicht sinnerfassend lesen. Das hat die Auswertung der "Standardüberprüfung Deutsch 4. Schulstufe", die vorige Woche veröffentlicht wurde, ergeben. Am Montag wurde ebenfalls in den vierten Klassen Volksschule mit dem Lesetest Pirls - einem Test, der in 54 Staaten durchgeführt wird - begonnen. Beim vorherigen Pirls-Test im Jahr 2011 lagen Österreichs Volksschüler unter dem EU-Durchschnitt.
Dass gerade Volksschüler so schlecht abschneiden, ist Wasser auf die Mühlen der Gesamtschul- und Ganztagesschulgegner. Da, so argumentieren sie, die Volksschule ja eine Gesamtschule sei. Die "Wiener Zeitung" fragte den grünen Bildungssprecher und früheren AHS-Direktor Harald Walser: "Ist die Volksschule noch zu retten?" - "Ja, aber wir müssen es angehen", lautet die Antwort.
"Bildungsministerin scheitert an sich und an der ÖVP"
Gerade diesen Willen zur Veränderung sieht Walser aber bei der Regierung nicht. Denn am 17. September des Vorjahres haben sich SPÖ, ÖVP und die Bundesländer auf eine Bildungsreform geeinigt. Bisher sei darüber mit der Opposition aber noch kein einziges Mal verhandelt worden - obwohl es in zwei Punkten die Zustimmung einer Oppositionspartei für die Zwei-Drittel-Mehrheit brauche. Das liege daran, dass sich SPÖ und ÖVP keineswegs einig seien, sagt Walser. "Bildungsministerin Gabriele Heinsich-Hosek scheitert am mangelnden Willen und am Koalitionspartner."
Viele Probleme der Volksschule seien auf die zu frühe Trennung der Kinder - Entscheidung mit 10 Jahren für die NMS (Neue Mittelschule) oder AHS - und auf den dadurch verursachten Stress zurückzuführen. Als Beispiel nannte Walser die Ziffernnoten. "Wir wissen aus unzähligen Studien, dass Noten nicht aussagekräftig sind. Wir bleiben aber dabei, weil wir sie am Ende der Volksschulzeit als Selektionsinstrument brauchen." Würde man die Noten streichen, hätte man mehr Zeit für die Konzentration auf das Wesentliche.
Allerdings dürfte das ein frommer Wunsch bleiben, denn obwohl die Unterrichtsministerin die Abschaffung der Ziffernnoten in der Volksschule ursprünglich geplant hatte, hat sie vor kurzem diesbezüglich einen Rückzieher gemacht: Die Entscheidung soll nunmehr bei den Schulen liegen, ob sie Noten oder verbale Beurteilung wählen - und das in Übereinstimmung mit den Eltern.
Was noch falsch läuft, sei die Überfrachtung der Volksschulkinder mit sehr viel Wissen, dabei bleibe das Erlernen der Kulturtechniken - Lesen, Schreiben, Rechnen - auf der Strecke. Das würde mehr Zeit erfordern. Eine Lösung wäre die Ganztagsschule, sagt Walser. Die fehlende Zeit für die Basisbildung führt der Bildungspolitiker aber auch auf die Kürzung der Unterrichtszeit um zwei Stunden unter Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) zurück.
Ein weiterer Grund für das schlechte Abschneiden der Volksschulen auch im internationalen Vergleich sei der, dass sich die Schule nicht im selben Ausmaß wie die Gesellschaft weiterentwickelt hat. "Kinder kommen wesentlich abgelenkter und unruhiger in die Schule. Je kürzer der Aufenthalt in der Schule ist, umso komprimierter ist der Unterricht. Dadurch wird der Unterricht immer fordernder und überfordert die Kinder", sagt Walser. Auch daraus ergebe sich ein klarer Appell dafür, mehr Zeit in der Schule zu verbringen.