Zum Hauptinhalt springen

Ist Gütesiegel-Kontrolle zu zahnlos?

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Den AMA-Kontrolleuren wurden Unterlagen vorenthalten. | Schummelei passieren "sehr selten". | Graz/Wien. Wie kann ein Eierlieferant monatelang unbemerkt Eier aus Ungarn als österreichische verkaufen? Eine oststeirische Eierpackstelle soll von Oktober 2009 bis Mai 2010 nicht mehr frische Eier aus Ungarn zugekauft, mit dem österreichischen "AT"-Zeichen be stempelt und an Handel und Industrie geliefert haben - teils auch mit dem Gütesiegel der Agrarmarkt Austria (AMA) Marketing.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Etikettenschwindel flog erst auf, als sich Mitarbeiter der Packstelle an die Polizei wandten. Die AMA Marketing hat den Betrieb laut eigenen Angaben im letzten Jahr fünf Mal kontrolliert. Im Schnitt stehen die Kontrolleure zwei Mal pro Jahr unangemeldet vor der Tür, zudem muss jeder Betrieb Voraussetzungen wie Hygiene und standardisierte Abläufe erfüllen, um das Siegel zu erhalten. "Die Packstelle ist sehr geschickt vorgegangen", sagt AMA-Pressesprecherin Hermine Hackl. Die ihnen vorgelegten Abrechnungen hätten gepasst, betont Hackl. Die Eierpackstelle habe jedoch Unterlagen vorenthalten. Der AMA Marketing seien dann die Hände gebunden - denn im Gegensatz zu ihrer Mutter, der Behörde AMA, ist sie als GesmbH eine privatrechtliche Organisation. Sie könne also nur handeln, wenn es konkrete Beweise gebe, so Hackl.

Das Landeskriminalamt Steiermark (LKA) ermittelt wegen Betrug und hat Buchungsunterlagen sichergestellt, die zeigen, woher die Eier kamen und wohin sie geliefert wurden. Vier bis fünf Millionen Eier sollen in Ungarn und Polen eingekauft worden sein - wie viele als vermeintlich steirische Eier in den Handel kamen, ist noch offen. Der Zukauf an sich ist zulässig - allerdings nicht, wenn die Eier als österreichische ausgegeben werden.

Lücke beim Abstempeln

Weil die 35 Bauern nicht genug Eier geliefert haben, "haben die eingegangenen Verpflichtungen uns verleitet, zusätzlich Ware einfließen zu lassen", entschuldigte sich der Betrieb. Nun müsse geklärt werden, wo die Schwachstelle im System war und die Lücke geschlossen werden, betont die AMA. Eine Schwachstelle ist offenbar das Abstempeln: Um Schummeleien den Riegel vorzuschieben, stempeln die Bauern in der Regel selbst ihre Eier mit dem Zahlen- und Buchstabencode ab, der über Haltungsform und Herkunft informiert: So steht zum Beispiel 0 für Bio-Eier und 1 für Freilandhaltung, AT steht für Österreich und die folgende Nummer identifiziert den Betrieb.

Doch auch viele Packstellen haben diesen Stempel, weil manche Handelsketten die Eier mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen haben wollen - und das erledigen die Packstellen. Damit kann aus einem ungarischen Ei schnell ein österreichisches werden. Die AMA hat dem Betrieb nun das Gütesiegel bis auf Widerruf aberkannt.

Außerdem wurden bisher nach jedem Betrugsfall die Richtlinien für das AMA-Gütesiegel verschärft. Jeder Fall habe eine abschreckende Wirkung auf andere Betriebe, sagt Hackl: "Ein Eierproduzent kann es sich heute fast nicht erlauben, das Gütesiegel nicht zu tragen, denn der Handel verlangt es." Von den 1,35 Milliarden Eiern, die in Österreich produziert werden, tragen rund eine Milliarde das Gütesiegel, der Großteil davon kommt in den Handel. Die Zertifizierung ist für jeden Betrieb freiwillig.

Der AMA zufolge passiere solch eine Schummelei ganz selten - das letzte Mal vor drei Jahren, als ein Betrieb Eier für den Handel (mit Siegel) und für die Weiterverarbeitung zu Nudeln und Brot (ohne Siegel) durcheinanderbrachte.

Kassierten Bauern mit?

Das LKA nimmt nun auch die zuliefernden Bauern ins Visier: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese von den Machenschaften wussten und sogar prozentuell mitkassiert haben, sagte ein Ermittler am Dienstag. Der Geschäftsführer der Packstelle wurde bereits freigestellt und auch der Obmann der Genossenschaft, in die der Betrieb eingebunden ist, ist zurückgetreten.