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Ist höheres Alter ein Kündigungsschutz?

Von Stephanie Dirnbacher

Wirtschaft

Wiedereinstellung in der Praxis selten. | Sozialwidrigkeit ausschlaggebend. | Wien. Sind ältere Mitarbeiter, also solche ab 50, nur schwer kündbar? Was einigen Arbeitgebern Angst macht, hält der Arbeits- und Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal für "ein Gerücht". Auch der Rechtsanwalt Georg Grießer bestätigt, dass mehr Lebenserfahrung nicht gleich einen automatischen Kündigungsschutz bedeutet.


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Tatsächlich gibt es in Österreich wegen höherem Lebensalter keinen besonderen Kündigungsschutz, wie er zum Beispiel für Mütter oder Behinderte existiert. Eine Kündigung muss hierzulande nicht einmal begründet werden. Ältere Mitarbeiter sind also gegen einen Arbeitsplatzverlust nicht schlichtweg immun.

Dass sie wegen ihres Lebensalters dennoch einen Vorteil haben, davon ist Barbara Oberhofer von der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich überzeugt. "Es gelten hier rigide Kündigungsvorschriften", erklärt Oberhofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auch Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien meint, dass ältere Mitarbeiter "einen ein bisserl besseren Kündigungsschutz" haben.

Den Schutz erkämpfen

Dieser zeigt sich jedoch erst bei einer Kündigungsanfechtung. Unter bestimmten Voraussetzungen kann nämlich der Betroffene die Kündigung durch den Arbeitgeber vor dem Gericht wegen Sozialwidrigkeit bekämpfen. Dabei muss die Kündigung die Arbeitnehmerinteressen wesentlich beeinträchtigen, indem sie einen erheblichen Nachteil für den Betroffenen bringt oder eine besondere Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage zur Folge hat. Das ist etwa dann der Fall, wenn längere Arbeitslosigkeit zu erwarten ist.

Dass Kündigungen älterer Mitarbeiter grundsätzlich anfälliger sind, als sozialwidrig eingestuft zu werden, liegt auf der Hand. "Eine wesentliche soziale Beeinträchtigung ist leichter gegeben", berichtet Grießer. Schließlich sind für ältere Arbeitnehmer die Chancen auf Wiedereinstellung in der Regel geringer als die Chancen jüngerer Leidensgenossen. Außerdem verlangt das Gesetz, bei der Prüfung einer möglichen Sozialwidrigkeit das höhere Alter, eine vieljährige Beschäftigung und die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen.

Durch ein berufskundliches Gutachten werden die Chancen des Gekündigten, wieder einen Job in gleicher oder ähnlicher Position zu erhalten, geklärt. Kurt Retzer, der Leiter der Rechtsabteilung in der Arbeiterkammer Wien, bemängelt, dass die Gutachten die Wiedereinstellungschancen der Betroffenen oft besser einschätzen als diese tatsächlich sind. "Es handelt sich nur um eine vermutliche Prognose", meint er zur "Wiener Zeitung".

Christoph Schuhmertl, Richter beim Arbeits- und Sozialgericht in Wien, stimmt dem nicht ohne weiteres zu. "Es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber für ältere Arbeitnehmer, insbesondere wenn sie mehr verdienen als im Kollektivvertrag vorgesehen stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie eine Kündigungsanfechtung bei Gericht gewinnen", erzählt der Richter.

Ist die Prognose für eine Wiedereinstellung hingegen gut, verliert der Arbeitnehmer das Anfechtungsverfahren. Aber selbst, wenn das Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Chancen auf eine Wiedereinstellung schlecht stehen, bedeutet das für den gekündigten Mitarbeiter nicht automatisch den Sieg. "Aus betrieblichen Gründen kann die Kündigung trotz Sozialwidrigkeit gerechtfertigt sein", erklärt Grießer. In solchen Fällen ist der Arbeitnehmer ziemlich chancenlos, denn "die Beurteilung, ob betriebliche Gründe eine Kündigung erfordern, obliegt dem Unternehmer", weiß der Rechtsanwalt. Trotzdem darf der Arbeitgeber generell die betriebsbedingte Kündigung erst als letztes Mittel einsetzen. Kann er den Arbeitnehmer noch anders im Betrieb einsetzen, so ist ihm das - besonders bei älteren Mitarbeitern - zumutbar.

Als letzter Rettungsanker bei der betriebsbedingten Kündigung bleibt noch der Sozialvergleich. Auch dabei haben ältere Arbeitnehmer einen Vorteil gegenüber jüngeren Kollegen. Wenn den Gekündigten nämlich eine größere soziale Härte trifft als einen anderen Arbeitnehmer, kann er sich seinen Arbeitsplatz dadurch sichern, dass statt ihm ein anderer Kollege gekündigt wird. "Da wird natürlich auf das höhere Lebensalter geschaut", weiß Oberhofer. Für sonderlich praxisrelevant hält sie den Sozialvergleich jedoch nicht. Dieser ist nämlich nur dann möglich, wenn der Betriebsrat der Kündigung des älteren Mitarbeiters ausdrücklich widerspricht, was laut Oberhofer nur selten passiert.

Meist wird verglichen

Nicht nur betriebliche Gründe, auch Gründe in der Person des Arbeitnehmers wie Unpünktlichkeit oder längere Krankenstände können eine sozialwidrige Kündigung rechtfertigen. Liegen solche Gründe vor, haben Ältere allerdings ein Ass im Ärmel. "Wenn der Mitarbeiter älter und langjährig im Betrieb beschäftigt ist, kann man dem Arbeitgeber zumuten, dass er ein Auge zudrückt", erklärt Grießer. Dennoch betont er, dass ältere Mitarbeiter "nicht grundsätzlich mit der Kündigungsanfechtung durchkommen". Auch Retzer bestätigt das. "Urteile, die zu einer Wiedereinstellung des älteren Mitarbeiters führen, sind in der Praxis ausgesprochen selten", meint er. Die meisten Verfahren würden mit einem Vergleich enden, bei dem der Arbeitnehmer eine Abschlagszahlung vom Arbeitgeber erhält.

Auch das Arbeits- und Sozialgericht in Wien bestätigt eine hohen Vergleichsrate bei den Kündigungsanfechtungen durch ältere Mitarbeiter. Für Retzer liegen die Gründe dafür auf der Hand: "Die Kündigung ist rechtswirksam, auch wenn sie vor Gericht angefochten wird." Ohne Einigung würden die Verfahren meist sehr lange dauern. Da der Betroffene während des Verfahrens ja nicht mehr beim Arbeitgeber beschäftigt ist, wird eine tatsächliche Rückkehr an den ehemaligen Arbeitsplatz praktisch unmöglich.

Ein zusätzliches "Erschwernis für die Kündigung älterer Mitarbeiter" sieht Oberhofer im Bonus-Malus-System, das die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer sichern soll. Wird nämlich ein mindestens 50-jähriger Arbeitnehmer, der mehr als zehn Jahre lang im Betrieb beschäftigt ist, gekündigt, muss der Arbeitgeber eine Einmalzahlung an die Gebietskrankenkasse leisten. Von einigen Seiten wird die Einmalzahlung als zu niedrig empfunden, um tatsächlich eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Die Rechtsanwältin Barbara Pogacar kann dahingegen von einem Fall berichten, in dem der drohende Malus die Kündigung des älteren Mitarbeiters verhindert hat.

"Nicht seligmachend"

Konkrete Zahlen zu Kündigungsanfechtungen von älteren Mitarbeiter können jedenfalls weder die Arbeiterkammer noch das Arbeits- und Sozialgericht nennen. Auch Ronald Rohrer, der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, kann keine Angaben darüber machen, wie viele ältere Mitarbeiter eine Wiedereinstellung vor Gericht durchsetzen können. Er will auch keine Pauschalaussage darüber treffen, ob Ältere grundsätzlich schwerer zu kündigen sind. Er kenne "sehr wohl Fälle, in denen die Kündigungsanfechtung Erfolg gehabt hat". Dennoch betont er: "Das Alter allein ist nicht seligmachend."

Künftig könnte der Kündigungsschutz für Ältere durch das Gleichbehandlungsgesetz mehr Bedeutung bekommen. Demnach kann eine Kündigung wegen Altersdiskriminierung unabhängig von der Sozialwidrigkeit angefochten werden.