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Politikwissenschafter erwarten vom neugewählten SPÖ-Vorsitzenden eine klare Linie bei Arbeitszeitverkürzung und Wertschöpfungsabgabe.
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Wien. Christian Kern wird heute, Samstag, beim Bundesparteitag zum neunten Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei in der Zweiten Republik gewählt. Die Erwartungen an ihn sind groß, wenngleich die anfängliche Euphorie langsam dem Alltag weicht. Noch hat Kern den Newcomer- und Senkrechtstarter-Bonus. Es liegt jetzt an ihm zu schauen, dass die SPÖ die Regierungsfähigkeit nicht verliert.
In der Kanzlerfrage weit vorne
In den Meinungsumfragen liegt Kern klar voran, die SPÖ selbst hat davon aber noch nicht wirklich profitieren können, sie liegt bei ungefähr 25 Prozent - mit einer FPÖ in der Opposition, die deutlich über der 30-Prozent-Marke ist, sagt Meinungsforscher Peter Hayek. Aber die Stärke Kerns eröffne der SPÖ immerhin eine taktische Option auf einen Kanzler-Wahlkampf. Ob dieser planmäßig 2018 oder doch schon früher sein wird, ist noch nicht entschieden. Nach anfänglichen Stillhalteparolen und Zusammenarbeitsaufrufen in der Koalition kommen immer häufiger wieder die Gegensätze hoch. "Es gibt Verhaltensmuster, die ändert man nicht von heute auf morgen. Gut möglich, dass es demnächst so endet wie 1999: Nichts geht mehr", sagt Politikexperte Hajek.
Der Parteitag, der in der Messe Wien in Szene geht, ist ganz auf den neuen Vorsitzenden zugeschnitten. Die inhaltlichen Diskussionen rund um das neue Parteiprogramm wurden ebenso auf einen weiteren Parteitag verschoben wie die Frage, nach welchen Kriterien man künftig Koalitionspartner - hier geht es vor allem um die FPÖ - auswählen will. Dabei ist noch gar nicht sicher, ob dieser Programmparteitag noch im November über die Bühne gehen soll. Gut möglich, dass dieser weiter hinausgeschoben wird - immerhin hat Kern bereits angekündigt, dass er sich programmatisch einbringen will.
Der 50-jährige Wiener, der Kommunikationswissenschaften studiert hat und beim damaligen SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka als Pressesprecher fungiert hat, ist nach seiner Managertätigkeit im Verbund und nach erfolgreichem Zwischenschritt als ÖBB-Generaldirektor in die Politik zurückgekehrt. Aber wo steht Kern eigentlich? Ist er ein Linker oder ist er doch eher dem Wirtschaftsflügel zuzuordnen? Ferdinand Karlhofer, Leiter des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, will diese Frage im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" noch nicht abschließend beantworten. Was man schon sagen könne, sei seine klare Positionierung bei zwei Streitthemen: Wertschöpfungsabgabe und Arbeitszeitverkürzung. "Das sind Themen, die Profilierung ermöglichen", sagt Karlhofer.
Sein Vorgänger Werner Faymann habe sich nie politisch so exponiert - nicht mit Themen, die für den Koalitionspartner Sprengstoff enthalten. Da Kern diese Themen das erste Mal beim Landesparteitag der SPÖ-Kärnten und am Freitag wieder angeschnitten habe, stecke dahinter Kalkül und auch ein langfristiger Plan.
Gerechte Verteilung
"Wir werden über gerechte Verteilung von Arbeitszeit reden müssen", und der Abbau des Sozialstaats werde nicht mit der SPÖ stattfinden, hat Kern am Freitag beim SPÖ-Bundesfrauenkongress, der traditionell dem Parteitag vorausgeht, neuerlich betont. Und damit dem Koalitionspartner signalisiert, dass er nicht gewillt ist, diese Themen fallen zu lassen. Im Gegenteil, Kern warf der ÖVP "puren Populismus" vor. Vielleicht nicht morgen, "aber wir werden uns bei der Frage durchsetzen", gab er sich kämpferisch. Weiters meinte er zur ÖVP, diese agiere folgendermaßen: "Erdanziehung, nicht mit uns. Sonnenaufgang, samma dagegen."
Ansagen, die vom Koalitionspartner nicht unbedingt als der neue Stil in der Politik, den Kern ja durchaus einbringen wollte, gewertet werden können. Andererseits gehört zu einem Parteitag auch ein kämpferischer Tenor. Es gilt nämlich auch, die Sozialdemokratie wieder zu einen und zu stärken. Wo sind nun Kerns Verpflichtungen, die er einlösen muss, um die SPÖ wieder auf die Beine zu bringen? "Die Erwartungen an Kern sind deshalb so hoch, weil die Partei unter Faymann spiralförmig nach unten gewirtschaftet worden ist", sagt Karlhofer. Zwei Landesparteien - Tirol und Vorarlberg - lägen in Agonie, zwei weitere - Oberösterreich und Niederösterreich - stecken in einer schweren Krise. Die Partei insgesamt leide an einer Profilschwäche und hoffe auf eine neue Leitfigur.
Hier sei anzumerken, dass erstmals in der Geschichte der SPÖ ein Parteivorsitzender nicht von der mächtigen Wiener SPÖ ausgehebelt worden sei. Faymann sei durch einen Schulterschluss der Landesparteien aus dem Amt genommen worden - mit Zutun des Kernschen Networkings.
Diese neue Dezentralisierung der Machtstrukturen in der SPÖ sei neu. Dafür werde Kern Versprechen einlösen müssen, sagt Karlhofer. Nämlich, die seit Antritt von Alfred Gusenbauer als Bundeskanzler 2006 sträflich vernachlässigten Landesparteien wieder einzubinden. "Diese erwarten sich von Kern sicher mehr Aufmerksamkeit."
Wertedebatte verschoben
Eine Wertedebatte ist heute sehr wahrscheinlich nicht zu erwarten. Diese könnte auf den Programmparteitag verschoben werden. Aber was sind die Werte einer modernen Sozialdemokratie? In den vergangenen 20 Jahren seien diese Werte verloren gegangen, Koordinaten, an denen sich die Partei festhalten könne, seien nicht mehr existent, sagt Karlhofer. Das sei ein Kernproblem, das aber alle Volksparteien gleichermaßen betreffe. "Bei diesem Parteitag geht es alleine darum, den neuen Vorsitzenden möglichst gut in Szene zu setzen", sagt der Politikwissenschafter.
Eröffnet wird der Parteitag vom neuen Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler, es folgt ein Referat von Wiens Bürgermeister Michael Häupl, dann wird die Bühne für Kern freigemacht. Kerns Rede ist für knapp eine Stunde angesetzt, es folgt eine kurze Debatte und dann die Wahl. Die Latte liegt hoch: Faymann hatte 2008 bei seinem ersten Antre ten 98,4 Prozent erreicht.