Der Europäische Gerichtshof äußert sich erstmals zum Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beruf und Beschäftigung. | Neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Artikel 12 EGV (EG-Vertrag) wurden durch den Vertrag von Amsterdam (1997) in Artikel 13 EGV spezielle Diskriminierungsverbote verankert; darunter eines aus Gründen "einer Behinderung".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Diese Bestimmung wurde in der Folge durch zwei Richtlinien des Rates näher ausgestaltet. Eine davon ist die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Zusätzlich dazu bekämpft die Europäische Gemeinschaft sowohl die soziale als auch die berufliche Ausgrenzung von Personen.
In seinem Urteil vom 11. Juli 2006 in der Rechtssache C-13/05 hatte nun der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, Große Kammer) erstmals die Möglichkeit, die Modalitäten des Schutzes von Behinderten auf dem Gebiet der Kündigung oder Entlassung näher zu präzisieren. Eine spanische Arbeitnehmerin, Frau Chacón Navas, arbeitete für das Unternehmen Eurest Colectividades SA, einen auf Verpflegungsdienste spezialisierten Betrieb. Nach einem achtmonatigen Krankenstand entließ Eurest Frau Chacón ohne Angabe von Gründen, bot ihr aber gleichzeitig eine Entschädigung an. Frau Chacón klagte daraufhin ihren Arbeitgeber vor dem Madrider Arbeitsgericht Nr. 33 und trug dabei vor, dass ihre Entlassung nichtig sei, da sie wegen ihrer langen Krankheit ungleich behandelt und diskriminiert worden sei.
Behinderung als Oberbegriff?
Das spanische Gericht sah zwischen einer (längerdauernden) Krankheit und einer Behinderung einen ursächlichen Zusammenhang, da man eine Behinderung als Oberbegriff qualifizieren könne. Dieser umfasse Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität und der Teilhabe am Arbeitsprozess. Da Krankheit häufig zu einer irreversiblen Behinderung führen, müssten die Arbeitnehmer rechtzeitig auf der Grundlage des Verbotes der Diskriminierung wegen einer Behinderung geschützt werden.
Sollten aber Behinderung und Krankheit als zwei unterschiedliche Begriffe angesehen werden und das Diskriminierungsverbot auf letzteren Begriff nicht anzuwenden sein, ist das spanische Gericht der Meinung, dass Krankheit als spezieller weiterer Diskriminierungsgrund im Sinne der Richtlinie anzusehen ist. Dieses Ergebnis würde auch durch eine EG-vertrags- und verfassungskonforme Auslegung erhärtet werden.
Autonom und einheitlich auszulegen
Dementsprechend setzte das spanische Gericht das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof diese beiden Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH bejahte zunächst die Zulässigkeit dieser Vorlagefragen, da sie keinesfalls bloß hypothetisch wären. Er stellte dabei erneut fest, dass Begriffe des Gemeinschaftsrechts autonom und einheitlich auszulegen seien. Mit der Verwendung des Begriffs Behinderung habe der Rat bewusst ein Wort gewählt, das sich von dem der Krankheit unterscheidet, sodass "sich die beiden Begriffe nicht schlicht und einfach einander gleichsetzen lassen". Was die zweite Frage betrifft, ob nämlich Krankheit als ein weiterer Grund für eine nach der Richtlinie 2000/78/EG verbotene Diskriminierung angesehen werden kann, ist der Europäische Gerichtshof der Ansicht, dass dies nicht der Fall ist.