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Ist Mays Deal wirklich tot?

Von Michael Schmölzer und Siobhán Geets

Politik
© reu

Zwei Wochen vor dem geplanten EU-Austritt der Briten ist wieder alles offen: Wie könnte es weitergehen mit dem Brexit?


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Zwei Mal haben die Abgeordneten des britischen Unterhauses zu Theresa Mays Deal mit der EU schon "Nein" gesagt, zuletzt am Dienstagabend. Die Korrekturen, die die britische Premierministerin in Brüssel erwirken konnte, waren einer Mehrheit der Abgeordneten zu kosmetisch. Die Gefahr, dass Großbritannien über die "Backstop"-Regelung zur Vermeidung einer inneririschen Grenze dauerhaft in der EU-Wirtschaftsunion bleiben muss, ohne mitbestimmen zu können, bleibt bestehen. Zwei Wochen vor dem geplanten Brexit stellt sich die Frage: Ist Mays Deal wirklich tot? Wie könnten alternative Brexit-Szenarien aussehen?

Mays Zermürbungstaktik geht auf

Nicht nur Labour-Chef Jeremy Corbyn erklärt Mays Deal für tot, auch Brüssel hält eine Wiederbelebung für nicht sinnvoll - und bereitet sich stattdessen auf ein No-Deal-Szenario vor. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte schon vor der Abstimmung etwas grimmig erklärt, dass es "keine dritte Chance geben wird". Es ist dennoch denkbar, dass May, durchaus hartnäckig, in den kommenden Tagen wieder kleine Korrekturen in Brüssel erwirkt und das britische Parlament, das einen No-Deal-Brexit auf keinen Fall will, zähneknirschend zustimmt. Theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich ist auch, dass Brüssel den Briten in Sachen "Backstop" so weit entgegenkommt, dass eine Mehrheit der Abgeordneten mit Freude für diesen neuen Deal stimmt.

No-Deal-Brexit: EU-Austritt ohne Abkommen

Kommt es zu keiner Einigung zwischen London und Brüssel, dann schlittert das Königreich automatisch ohne Abkommen aus der EU. Kein Deal würde bedeuten, dass die Beziehungen am 29. März nach 45 Jahren EU-Mitgliedschaft mit einem Schlag gekappt würden. Die Folgen für Wirtschaft und Bürger wären weitreichend, viele Bereiche plötzlich völlig ungeregelt und chaotische Zustände vorprogrammiert. Zwischen der EU und Großbritannien müsste es dann wieder Grenz- und Zollkontrollen geben - auch zwischen Irland und Nordirland. Beide Seiten würden die schlimmsten Folgen über Notverordnungen abfedern. Brüssel hat Pläne in den Schubladen und 14 Bereiche identifiziert, darunter Zoll- und Handelsbestimmungen sowie der Luftverkehr. Briten in der EU und EU-Bürger in Großbritannien sollen ihr Aufenthaltsrecht nicht verlieren. London will in diesem Fall keine Zölle auf eine breite Palette von EU-Waren einheben. Die EU-Kommission hat allerdings angekündigt, sehr wohl Zölle auf britische Waren einzuheben. Das ist nötig, weil Großbritannien nach einem harten Brexit zum Drittstaat wird. Andere Drittstaaten würden es wohl nicht verstehen, wenn britische Waren von Zöllen ausgenommen wären. Im Fall eines No-Deal-Brexit würde Großbritannien wohl in die Rezession schlittern und das Pfund massiv abwerten. Die britische Wirtschaft müsste mit Exporteinbußen von bis zu 30 Milliarden Pfund (34,8 Milliarden Euro) rechnen.

Soft Brexit: Enge
Anbindung an die EU

Eine Möglichkeit, dem drohenden Chaos doch noch zu entkommen, wäre ein "Soft Brexit". Das bedeutet, dass Großbritannien in der EU-Freihandelszone, also in Binnenmarkt und Zollunion bleiben würde und es weiterhin keine Tarife bei Einfuhren aus der EU gäbe. Weil es dann keine Grenzkontrollen bräuchte, wäre auch das Problem um die irische Grenze vom Tisch. Eine derart enge wirtschaftliche Bindung an die EU wäre den Wählern aber schwer als "echter" Brexit zu verkaufen, worauf nicht nur hartgesottene Brexiteers hinweisen. Mit May scheint diese Variante nicht machbar, aber eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten kämpft für den Verbleib in der EU-Zollunion. Sie weisen darauf hin, dass der Vorschlag die einzige Idee ist, für die sich im Parlament eine Mehrheit finden ließe. Demnach gibt es im Parlament eine "stille Mehrheit" für einen weichen Brexit. Bis zu 50 Tories würden ihn einem EU-Austritt ohne Abkommen vorziehen.

Brexit-Vertagung: Artikel 50 wird verschoben

Am Donnerstag stimmt das Unterhaus darüber ab, ob es eine Verschiebung des Brexit geben soll. Eine Verlängerung der Austrittsfrist über Ende März hinaus ist nach Artikel 50 des EU-Vertrags durchaus möglich und im Lichte der Abstimmungs-Schlappen der britischen Premierministerin auch nicht unwahrscheinlich. Allerdings müssten die 27 verbleibenden EU-Staaten dem Antrag auf Verlängerung zustimmen. Hier heißt es, dass man das nicht tun will, wenn es London um reinen Zeitgewinn geht. Es müsse eine "glaubwürdige Begründung" für die Fristverlängerung geben. Das wäre etwa der Fall, wenn London eine realistische Brexit-Alternative auf den Tisch legen würde. Derzeit gibt es aber keinen mehrheitsfähigen Konsens. Beobachter meinen, dass die Briten eine längere "Denkpause" brauchen, um herauszufinden, was sie eigentlich wollen. Ein mögliches neues Brexit-Datum wäre der 31. Dezember 2020. Dann endet der mehrjährige EU-Finanzrahmen, den London noch mitbeschlossen hatte. Bei einer solchen Verlängerung müssten die Briten aber an den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen, die damit schlichtweg eine Farce wären. Die Gefahr ist, dass am Ende der Verlängerung alles beim Alten ist und ein chaotischer Brexit droht.

Exit vom Brexit: Der EU-Austritt wird abgesagt

Denkbar ist auch ein zweites Referendum. Umfragen zeigen, dass sich mittlerweile eine Mehrheit der Briten für den Verbleib entscheiden würde. Doch Premierministerin Theresa May ist strikt dagegen. Nicht ohne Grund, denn Millionen Briten würden sich so um ihren Brexit-Sieg vom Juni 2016 geprellt fühlen, ihr Glaube an die Demokratie wäre wohl stark in Mitleidenschaft gezogen - und das Land noch tiefer gespalten. Ein gefährliches Szenario. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn hat am Dienstag in seiner 25-minütigen Rede kein einziges Mal die Option eines zweiten Referendums erwähnt - obwohl die Mehrheit der Labour-Abgeordneten und die Parteibasis dafür sind.

May tritt zurück,
es gibt Neuwahlen

Die britische Premierministerin ist politisch und stimmlich schwer angeschlagen, ein Rücktritt und Neuwahlen stehen aber nicht unmittelbar im Raum. Sollte es dennoch dazu kommen und die stärkste Oppositionspartei Labour an die Macht gelangen, wären die Karten neu gemischt. Ob Labour das Chaos schlichten und das Brexit-Schiff in ruhige Gewässer manövrieren kann, bleibt aber dahingestellt.