Solange es Geld aus Brüssel gibt, bleibt Polen EU-Mitglied. Danach droht der "Polexit".
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Momentan erhält Polen jährlich sieben Milliarden Euro mehr aus dem EU-Haushalt, als es selbst einzahlt. Polen ist somit der größte Nettoempfänger der EU. Wer sich an solch massive jährliche Alimentationen gewöhnt hat (und Polen baut ein Gutteil seines "Wirtschaftswunders" und seiner Sozialprogramme auf diese Brüsseler Anschubfinanzierung), ist selten bereit, darauf zu verzichten.
Bei den heuer beginnenden Verhandlungen zum EU-Mehrjahresbudget stehen einander die Gruppe der am finanziellen EU-Dauertropf hängenden Staaten und die immer kleiner werdende Zahl an Nettozahlern unversöhnbar gegenüber. Verschärft wird die Lage durch den Wegfall der britischen EU-Beiträge als Folge des Brexit und die wachsende Überzeugung, dass man sein Geld vielleicht irgendwann doch sinnvoller ausgeben kann als für Strukturfördermaßnahmen.
Im Programm für die Jahre 2021 bis 2027 klafft ein Loch von mehr als zehn Milliarden Euro jährlich. Die EU-Kommission schlägt unter anderem vor, die Regional- und Strukturgelder um bis zu zehn Prozent zu kürzen. Polen, aber auch etwa Ungarn, geht seinerseits mit der Forderung nach einer Erhöhung der EU-Gesamtausgaben um bis zu 25 Prozent in diese Verhandlungen. Es scheint offensichtlich einfacher, das Geld anderer Staaten zu verplanen und auszugeben, als selbst Ideen beizusteuern.
Angesichts der wachsenden Bedenken hinsichtlich der rechtsstaatlichen Entwicklung in Polen wachsen auch die Bedenken, beträchtliche Geldmittel Jahr für Jahr in dieses EU-Land zu überweisen, ohne dass Polen sich an die allgemeinen Spielregeln der Europäischen Union hält.
Manche fordern einen Mechanismus, der die Auszahlung von Struktur- und Fördermittel notfalls an die Erfüllung rechtsstaatlicher Grundprinzipien knüpft. Dies stellt für die polnische Regierung jedoch einen inakzeptablen Eingriff in ihre Souveränität dar. Nach polnischem Verständnis hat man offensichtlich eine Art ewigen Anspruch auf finanzielle Dauerzuwendung - unabhängig davon, wie man sich politisch benimmt.
Der amtierende EU-Ratspräsident Donald Tusk hat jedenfalls schon Anfang Jänner seine Befürchtungen öffentlich gemacht: Sollte seine Heimat Polen eines Tages nicht mehr Geld aus Brüssel erhalten, als es selbst einzahlt, könnte das Land versucht sein, aus der Europäischen Union auszutreten.
Diese nüchterne Einschätzung bringt eine Einstellung zu Tage, die in Ost-Mitteleuropa weit verbreitet zu sein scheint: Die EU wird als ewiger und unerschöpflicher Quell finanzieller Zuwendungen betrachtet. Der EU-Beitritt war offensichtlich bloß das Ergebnis einer simplen Abwägung finanzieller Überlegungen. Der vielbeschworene "europäische Gedanke" scheint dabei keine große Rolle zu spielen.
Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn erst polnische Migranten in Großbritannien der Hauptauslöser für den Brexit waren und dann in Folge des Brexit und der damit verbundenen Budgetkürzungen auch ihr Heimatland die EU verlassen würde. Wäre dem tatsächlich so, sollte man einer Trennung nicht im Weg stehen.