)
"WZ"-Analyse zum Rechtsstreit um das AKW Temelín. | Droht neue diplomatische Eiszeit mit Prag? | Wien. Nächste Runde im Kampf gegen das grenznahe tschechische AKW Temelín: In seinem Schlussantrag stellt der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) fest, das heimische Gericht müsse seine Zuständigkeit im Streit Land Oberösterreich gegen den AKW-Betreiber CEZ selber entscheiden. Damit scheint der Versuch Österreichs, die "heiße Kartoffel" Temelín elegant loszuwerden, gescheitert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die dem EuGH vorgelegte Frage Österreichs lautete: Fällt die Immissionsabwehrklage Oberösterreichs unter das Brüsseler Übereinkommen, das grenzüberschreitende Streitigkeiten regelt und ist demnach Österreich als Gerichtsstand zulässig?
In aller Kürze: Oberösterreich sieht eines seiner Grundstücke nahe der Grenze durch die hohe Störanfälligkeit des tschechischen Atomkraftwerkes Temelín gefährdet. In seiner Immissionsabwehrklage begehrt das Bundesland die Unterlassung der Gefährdung von Leben und Gesundheit sowie Grundeigentum durch drohende radioaktive Immissionen.
Soweit, so gut. Da Kläger und Beklagter aber ihren Sitz in unterschiedlichen Ländern haben, nämlich in Österreich und Tschechien, kommt das "Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen" (EuGVÜ) zum Tragen, das klärt, wessen Gerichte für Streitfälle unter den Parteien zuständig sind.
Keine Berufung auf staatliche Immunität
Der AKW-Betreiber, der zu 70 Prozent im Eigentum der Republik Tschechien steht, hat die Kompetenz Österreichs stets bestritten und darauf verwiesen, dass er als Staatsbetrieb völkerrechtliche Immunität besitze. "Die Immunität gilt nur für hoheitliches Handeln. Hier wird ein Staat aber klar privatwirtschaftlich tätig", weiß Professor Peter Mayr, Zivilprozessexperte der Universität Innsbruck.
Daneben normiert das EuGVÜ als primären Gerichtsstand den (Wohn-) Sitz des Beklagten. Davon gibt es allerdings in Art 16 Zif 1 lit a eine Ausnahme: Demnach sind ohne Rücksicht auf den (Wohn-) Sitz des Beklagten für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen betreffen, die Gerichte des Staates, in dem das Grundstück liegt, ausschließlich zuständig.
Unter den Begriff "dingliche Rechte" fällt laut dem Generalanwalt auch die von Oberösterreich angestrebte Immissionsabwehrklage. Der Gerichtsstand gilt nach der Judikatur des EuGH auch im Verhältnis zu "Drittstaaten" (also Staaten, die nicht Vertragsstaaten des EuGVÜ sind, was auf Tschechien im Zeitpunkt der Klagserhebung zugetroffen hat).
Nachdem das durch das AKW Temelín beeinträchtigte Grundstück in Österreich, genauer in Oberösterreich, liegt, wird aufgrund des eben genannten Zwangsgerichtsstands in Österreich geklagt, erklärt die Linzer Professorin und Europarechtlerin Margit Karollus.
Wird der EuGH dem nicht bindenden Antrag des Generalanwaltes folgen?
Wenn der EU-Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht folgt, dann könnte der OGH über das Klagebegehren mangels internationaler Zuständigkeit nicht entscheiden. Der OGH als vorlegendes Gericht ist nämlich gehalten, einem Urteil des EuGH Folge zu leisten.
Wenn der EuGH dem Antrag des Generalanwalts folgt, dann bedeutet das eine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte nach EuGVÜ, so Karollus. Ein Urteil des österreichischen Gerichts müsste dann von Tschechien vollstreckt werden.
Hoheitsrechte der Tschechen verletzt?
Für Mayr ist der vorliegende Fall ein Extrembeispiel. Für ihn sind hier die Gerichte eindeutig überfordert. Wie soll ein Richter in Österreich über die Verlässlichkeit eines Kraftwerkes im Ausland urteilen, wie soll die Beweisaufnahme funktionieren, fragt er.
Theoretisch könnte ein österreichisches Gericht dem Betreiber des Atomkraftwerkes sogar Auflagen erteilen und damit massiv in tschechische Hoheitsrechte eingreifen. Diplomatische Verstimmungen zwischen Wien und Prag wären dann sicher. "Stellen Sie sich vor, ein italienisches Gericht redet beim Bau eines Betriebes in Tirol mit oder untersagt es sogar", bringt Mayr es auf den Punkt.