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Ist uns jedes Kind gleich viel wert?

Von Stefan Melichar

Politik

Kritiker vermuten eine Bevorzugung reicher Familien. | Frauenerwerbsquote könnte sinken. | Wien. Nicht nur bei SPÖ und Grünen stößt der Vorschlag der ÖVP-Perspektivengruppe, die Einkommensteuer - unter Berücksichtigung der Kinderzahl - familienweise zu berechnen, auf Ablehnung. Auch Wirtschafts- und Familienforscher äußern Bedenken: Von einem solchen "Familiensplitting" würden vor allem Besserverdiener profitieren. Die Frauenerwerbsquote dürfte sinken und überhaupt könnte die Maßnahme ihr Ziel verfehlen.


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Das steuerliche Familiensplitting soll laut ÖVP-Perspektivenpapier nämlich dafür sorgen, dass Belastungen von Familien mit Kindern ausgeglichen werden und Kinderwünsche nicht unerfüllt bleiben müssen. Überhaupt soll es - zur Sicherung des Wohlstands - wieder mehr Nachwuchs geben. Norbert Neuwirth vom Österreichischen Institut für Familienforschung glaubt jedoch nicht, dass diese Maßnahme Familien in unteren Einkommensschichten - die tatsächlich überlegen müssen, ob sie sich ein Kind leisten können - etwas nützen würde. Diese zahlen, so Neuwirth, aufgrund des allgemeinen Freibetrags von 10.000 Euro im Jahr ohnehin keine Lohnsteuer. Ein Splitting in dem Sinne, dass das Haushaltseinkommen durch die Zahl der Familienmitglieder dividiert wird, dürfte nur dazu führen, dass auch viele wohlhabendere Familien unter diesen Freibetrag - oder in eine deutlich niedrigere Steuerklasse - fallen.

Belastung für den Staat

Würde dieses Modell umgesetzt, "gilt ein Kind reicherer Eltern mehr" als eines aus ärmeren Verhältnissen, meint Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien. Dass das Familiensplitting kommt, glaubt Hofer allerdings nicht: "Das wäre eine extreme Belastung für den Staatshaushalt".

In Deutschland gibt es das Modell des Ehegattensplittings. Dabei gilt die Hälfte der Einkommenssumme als Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer. Laut Hofer würde ein Wechsel zur Individualbesteuerung - wie ihn Österreich 1972 vollzogen hat - dem deutschen Staat etwa zehn Prozent mehr Steuereinnahmen bringen. Wie eine IHS-Studie zeigt, fehlt dem "Zweitverdiener" in der Familie - also meist der Frau - beim Splitting oft der Anreiz, ins Erwerbsleben einzusteigen. Grund dafür ist, dass sich der Ehepartner mit dem geringeren Einkommen einem unverhältnismäßig hohen Grenzsteuersatz gegenüber sieht. Letzterer wird nämlich aus dem Haushaltseinkommen - und damit zu einem Gutteil aus den Einkünften des Besserverdieners - abgeleitet. Hofer rechnet damit, dass auch beim ÖVP-Modell die Frauenerwerbsquote sinken könnte. Darüber hinaus würde das Familiensplitting laut Neuwirth die jetzige steuerliche Besserstellung von Familien mit zwei berufstätigen Partnern gegenüber Alleinverdienern aufheben. Hofer plädiert dafür, anstelle eines Steuersplittings Kinderabsetzbeträge oder die Familienbeihilfe zu erhöhen.

Im Büro von ÖVP-Perspektiven-Chef Josef Pröll hieß es am Dienstag, dass Detaillösungen noch von Experten auszuarbeiten seien. Es solle nicht das deutsche Ehegattensplitting kopiert werden. Für ärmere Familien sei eine Entlastung in Form einer Negativsteuer anzudenken. Diese könne in etwa ein 15. Monatsgehalt ausmachen.