Parlamentsvotum schafft unübersichtliche Situation. PD-Parteichef und Ex-Premier Matteo Renzi tritt zurück.
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Rom/Wien. Nach den Parlamentswahlen bleibt in Italien kein Stein auf dem anderen. Die populistischen Anti-System-Parteien und die Rechte haben in einem Ausmaß abgeräumt, das nicht vorhersehbar war. Alles, was nach Erhalt der alten Ordnung, pro-europäischer Gesinnung und Stabilität riecht, wurde von den Italienern gnadenlos abgewählt. Am Tag eins nach der Wahl war eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament zudem nicht in Sicht, viele setzten bereits auf Neuwahlen.
Bei der Fünf-Sterne-Bewegung des Starkomikers Beppe Grillo war der Jubel groß, ebenso bei der rechten und ausländerfeindlichen Lega. Fünf Sterne liegt mit 32 Prozent weit über den Erwartungen, sie triumphiert vor allem im Süden des Landes. Gemeinsam mit der rechtsnationalen Lega kommt sie auf 50 Prozent. Würden die beiden Protestparteien ein Bündnis schließen, wäre eine Horrorvorstellung aller Pro-Europäer Realität.
Blankes Entsetzen bei Italiens Sozialdemokraten
In den Reihen der Grillo-Bewegung und der Lega herrschen jedenfalls Euphorie, in der Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi macht sich Ernüchterung breit, den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), bis jetzt an der Macht, sucht blankes Entsetzen heim. Der Spitzenkandidat der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, sieht sich als Vertreter der stimmenstärksten Einzelpartei mit einem gewissen Recht als Wahlsieger und hat am Montag verkündet, an der Spitze einer neuen Regierung Verantwortung übernehmen zu wollen. Er wolle mit allen politischen Kräften über die Bildung einer Regierung sprechen, so Di Maio, es gehe jetzt um Kampf gegen soziale Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit, Förderung des Wirtschaftswachstums und Sicherheit. Der Chef der fremdenfeindlichen Lega, Matteo Salvini, erhob ebenfalls den Anspruch auf das Amt des Premiers. Und das, obwohl die Lega nur die drittstärkste Partei ist.
Immerhin hat er im parteiinternen Wettrennen mit Silvio Berlusconi von der Forza Italia den Sieg geholt, die Lega kommt auf 18 Prozent der Stimmen, der Ex-Premier nur auf rund 14. "Wir haben das Recht und die Pflicht zu regieren", frohlockte Salvini am Montag, Europa müsse neu errichtet werden, und zwar um die Menschen herum und nicht um die Bürokratie. "Wir sind in Europa, aber wir wollen ein anderes Europa", so Salvini, und: "Ich bin und bleibe ein stolzer Populist. Über Italiener entscheiden die Italiener. Nicht Berlin, nicht Paris, nicht Brüssel", so der Lega-Chef.
Dass sich Fünf Sterne und die Lega zusammentun, scheint aus derzeitiger Sicht unwahrscheinlich. Die Lega hat immer noch ein stark norditalienisches Profil, die Fünf Sterne hat ihre Wähler vor allem im Mezzogiorno, im Süden des Landes. Die Feindschaft zwischen Norditalienern, die auf die "Terroni", also "grobschlächtige Bauern" aus dem Süden herabschauen, wird nicht so einfach überbrückbar sein.
Die Sozialdemokraten von der PD sprachen unterdessen selbst von einer veritablen Niederlage. Das Mitte-links-Bündnis kommt auf nur 22 Prozent, der PD alleine auf nur 18 Prozent. Parteichef und Ex-Premier Matteo Renzi ist am Montag zurückgetreten. Die PD werde in die Opposition gehen, da sie nicht bereit sei, mit populistischen Kräften zusammenzuarbeiten, kündigte Renzi an. "Ich bekräftigte mein Nein zu einer Regierung mit Extremisten. Wir haben unsere Meinung nicht geändert", so Renzi, der in Florenz zum Senator gewählt wurde und mit 42 Prozent der Stimmen ins Parlament einzieht.
Es gilt aber keineswegs als ausgemacht, dass die PD wirklich in Opposition geht. Eine Koalition zwischen Fünf Sterne, den Sozialdemokraten und der Linkspartei Liberi e Uguali scheint nicht ausgeschlossen. Die Grillo-Bewegung wäre der Senior-Partner, Di Maio Premier. Die erweiterte Linke wäre Königsmacher und könnte ihre Expertise einfließen lassen.
Ex-Premier Silvio Berlusconi, der sich den Wählern mit seiner Forza Italia als pro-europäische, vergleichsweise seriöse politische Kraft präsentiert hatte, blieb am Montag vorerst in Deckung. Er kommt auf 14 Prozent der Stimmen, war im Duell mit Salvini entgegen den Erwartungen unterlegen. Für den italienischen Politologen Giovanni Orsina ist die Wahlschlappe jedenfalls "der Anfang vom Ende", des mehrfachen und skandalumwitterten Ex-Premiers. "Berlusconi ist die Vergangenheit, Lega-Chef Salvini ist die Zukunft. Ich bezweifle, dass es in ein oder zwei Jahren Berlusconis Partei noch geben wird", prophezeit Orsina. Die Lega, die das "Nord" aus ihrem Namen gestrichen hatte, hat Salvini noch am Montag zum "Führer von Mitte-Rechts" ausgerufen. Ein schwerer Schlag für Berlusconi, dessen Fähigkeiten als politisches Stehaufmännchen aber legendär sind.
Schlüsselrolle für Präsident Sergio Mattarella
Eine Schlüsselrolle kommt nun Italiens Präsident Sergio Mattarella zu, der wohl nicht vor Anfang April Gespräche über eine Regierungsbildung aufnehmen wird. Das neue Parlament wird am 23. März erstmals zu seiner Sitzung zusammenkommen. Der Präsident vergibt den Regierungsauftrag an die Fraktion, der er die nötigen Absprachen mit Partnern und die Bildung einer stabilen Regierung zutraut. Das muss nicht die stärkste Fraktion sein. Mattarella könnte auch eine parteiübergreifende Regierung mit einem klar umrissenen politischen Programm anstreben. Der Mitte-rechts-Block etwa, der von einigen PD-Abgeordneten unterstützt wird. Vorstellbar wäre auch eine von parteiunabhängigen Experten geführte Regierung.