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Italiens "Beautiful mind" ist tot

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Bis zuletzt arbeitete die Neurologin an wissenschaftlichen Projekten.


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Rom. "Unser"Beautiful mind" titelte die römische Tageszeitung "la Repubblica" am Montag ihren fünfseitigen Nachruf auf die am Tag zuvor im Alter von 103 Jahren verstorbene Rita Levi Montalcini: Schöner hätte man das Jahrhundertleben der Wissenschaftlerin, die 1986 mit den Medizinnobelpreis ausgezeichnet und 2001 vom damaligen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt worden war, nicht beschreiben können.

Am 22. April 1909 in Turin in eine jüdisch-sephardische Familie geboren - der Vater Adamo Levi war Mathematiker und Elektroingenieur, die Mutter Adele Montalcini Malerin - wuchs sie mit ihren drei Geschwistern Gino (1902-1974), einem Bildhauer und Architekten, Anna (1907-2003) und ihrer Zwillingsschwester Paola (1909-2000), die wie die Mutter Malerin war, in einer wohlbehüteten Familie auf und musste sich gegen den Willen des Vaters ihr Medizinstudium erkämpfen. Ihr Lehrer, Giuseppe Levi, Vater der Schriftstellerin Natalia Ginzburg, überzeugte sie, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen und sich auf das Nervensystem zu spezialisieren. Als Mussolini seine 1938 seine Rassengesetze verabschiedete, war ihre wissenschaftliche Laufbahn in Italien zu Ende und sie emigrierte mit Levi nach Belgien, das sie nach dem deutschen Einmarsch 1940 wieder verließ. Nach Turin zurückgekehrt, richtete sie dort ein privates Versuchslabor ein, musste die Stadt aber wegen der Bombenangriffe verlassen und floh 1943 nach Florenz, um den deutschen Judenverfolgungen zu entgehen. In Florenz arbeitete sie zuerst mit Partisanengruppen zusammen und war später Ärztin in einem alliierten Kriegsgefangenenlager.

Karriere in den USA

1947 holte sie der Biologe Viktor Hamburger, der ihre wissenschaftlichen Arbeiten schätzte, an die Washington-Universität von St.Louis im Bundesstaat Missouri, wo ihr gemeinsam mit ihrem Kollegen Stanley Cohen die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors gelang, eine Arbeit die für die Therapie von Alzheimer und Multipler Sklerose große Bedeutung hat. Nahezu dreißig Jahre arbeitet Levi-Montalcini in den USA bevor sie nach Italien zurückkehrte. 1986 wurde sie für ihre Arbeit mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet - als eine von nur zehn Frauen, die diesen Preis seit 1901 erhielten. Rita Levi Montalcini war zuletzt die älteste lebende Nobelpreisträgerin und hält auch den Rekord der ältesten Nobelpreisträgerin überhaupt.

Trotz ihres Alters dachte sie nie daran, in Pension zu gehen und engagierte sich in zahlreichen wissenschaftlichen Institutionen. 1992 gründete sie mit ihrer Zwillingsschwester Paolo die Levi-Montalcini-Stiftung, die sich die Förderung von jungen Menschen zur Aufgabe gestellt hat und mit Stipendien das Studium junger afrikanischer Frauen unterstützt. 1988 war sie Mitbegründerin der italienischen Sektion des Internationalen Grünen Kreuzes, das die Vermeidung von Konflikten aufgrund der Ausbeutung natürlicher Ressourcen vermeiden helfen soll. Außerdem gehörte sie dem Nationalen Wissenschaftsrat an und war Präsidentin der Multiple Sklerose-Gesellschaft,

Am 1. August 2001 ernannte sie Präsident Ciampi wegen ihre wissenschaftlichen und sozialen Verdienste zur Senatorin auf Lebenszeit. Dort war sie seit 1949 überhaupt erst die zweite Frau neben 31 Männern. Eigentlich hätte ihr nach den Wahlen 2006 und 2008 bei der Parlamentseröffnung das Amt der Alterspräsidentin zugestanden. Wegen ihrer schwindenden Sehkraft bat sie aber Altpräsident Oscar Luigi Scalfaro, der im Jänner 2012 verstorben ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Zwischen 2006 und 2008 verbrachte sie aber viele Stunden im Senat, um den Sturz der Regierung Prodi zu verhindern. Berlusconi & Co revanchierten sich mit Schmähungen. Ein Minister wollte ihr Krücken schicken und die Lega Nord versuchte Subventionen für ihre wissenschaftliche Projekte abzuwürgen.

"Mein Hirn arbeitet heute besser als mit 20", sagte Rita Levi- Montalcini als sie 100 Jahre alt wurde und in einem Interview mit der spanischen Zeitung "El Pais" bat sie: "Wenn ich nicht mehr denken kann, lasst mich in Würde sterben."