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Italiens Chronist eines ganzen Jahrhunderts

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Mailand - Italien trauert um seinen in aller Welt wohl bekanntesten Journalisten. An den Folgen einer Krebsoperation ist Sonntagabend der 92-jährige Indro Montanelli gestorben, der zu Recht als Chronist eines ganzen Jahrhunderts bezeichnet wird und bei Freunden und politischen Gegnern gleichermaßen Ansehen genoss.


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Dabei fehlte es nicht an Brüchen und politischen Widersprüchen im Leben des am 22. April 1909 im toskanischen Fucecchio geborenen Indro Montanelli. Nach seinem Doppelstudium (Jus und politische Wissenschaften) und ersten journalistischen Schritten bei "Paris Soir" nahm er 1935 am Mussolini-Krieg in Eritrea teil und verewigte seine Erfahrungen auch in einem Buch.

Obwohl er dem Faschismus anfangs durchaus positiv gegenüberstand, zeigte sich bald die Seite, die Montanelli berühmt machen sollte: Bereits als Berichterstatter aus dem spanischen Bürgerkrieg versagte er sich den Zeitströmungen und schrieb regimekritisch.

1938 begann er seine Laufbahn beim "Corriere della Sera", wurde als Berichterstatter nach Albanien und ins Baltikum entsandt und interviewte Hitler bei seinem Einmarsch in Danzig. Seine Begegnungen mit den damals Mächtigen machten ihn zum bürgerlichen Antifaschisten. 1944 wurde er verhaftet und zum Tod verurteilt, entkam aber der Hinrichtung. In seinem später von Roberto Rossellini verfilmten Buch "Der General della Rovere" schildert er die Umstände.

Nach dem Kriegsende nahm er seine Arbeit beim "Corriere" wieder auf, schrieb aber unter verschiedenen Pseudonymen auch für die Zeitschrift "Il Borghese" der kurzfristig erfolgreichen rechtspopulistischen Bewegung "Uomo qualunque", was ihm unter Intellektuellen heftige Kritik eintrug. 1956 war Montanelli einer der ersten westlichen Journalisten, die über den Aufstand in Budapest berichteten.

Seine jahrzehntelange Mitarbeit beim "Corriere" fand 1973 ein abruptes Ende, als er wegen politischer Differenzen mit dem damaligen Chefredakteur ausschied und mit einigen Kollegen die Zeitung "Il Giornale" gründete. Als dieses Blatt in finanzielle Schwierigkeiten geriet, war ein Mann zur Stelle, mit dem Montanelli in seinen letzten Lebensjahren noch manche heftige Sträuße ausfechten sollte: Silvio Berlusconi.

1977 wurde Montanelli bei einem Attentat der Roten Brigaden an den Beinen verletzt.

1994, als Berlusconi selbst in die Politik ging und "Il Giornale" für sich einzuvernehmen suchte, ließ es Montanelli zum Bruch kommen und gründete als 85-Jähriger noch einmal eine Zeitung: "La Voce" überlebte nur knapp ein Jahr. In den letzten Jahren kehrte Montanelli als Kolumnist zum "Corriere della Sera" zurück. Als bürgerlich Liberaler rief er bei den letzten Wahlen auf, für das Linksbündnis Ulivo und gegen Berlusconi zu stimmen.

Senator auf Lebenszeit Carlo Bo gestorben

Montanelli starb nur einen Tag nach einem anderen 90-Jährigen, der in Italien ebenfalls großes Ansehen genoss. Am Samstag war in Genua der berühmte Literaturkritiker Carlo Bo den Verletzungen erlegen, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte. Er war 1984 von Alessandro Pertini zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden. Bo war seit 1947 Rektor der Universität von Urbino und galt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der europäischen katholischen Philosophie.