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Italiens Programme gegen die Krise

Von Julian Mayr

Wirtschaft

Wirtschaftliche Themen sind am Vorabend der Parlamentswahlen vorrangig für die Wählerschaft.


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Der erste große hochsommerliche Wahlkampf in Italiens republikanischer Geschichte neigt sich dem Ende zu. Geprägt war er von persönlichen Fehden, Polarisierung zwischen und innerhalb der politischen Lager und kontinuierlichen Faschismusvorwürfen. Doch das Land sieht sich mit Problemen konfrontiert, die realer sind als das hypothetische Wiedererwachen Benito Mussolinis aus seiner Grabstätte in Predappio in der Emilia-Romagna.

Eine Studie des italienischen Zentrums für Wahlstudien (Centro Italiano Studi Elettorali) offenbart, welche Fragen bei Italiens Bevölkerung oberste Priorität haben. Die zehn politischen Bullet Points mit den meisten Präferenzen sind laut den Forschern allesamt Themen, die in der Regel keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Wählerschichten hervorrufen. So sind sich Anhänger der rechtspopulistischen Lega und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung weitestgehend einig, dass die Sicherung erschwinglicher Energiepreise, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Armut, sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Inflation zentrale Bedeutung aufweisen. Die Vorherrschaft wirtschaftlicher Themen ist dabei augenscheinlich.

Unterschiede zeigen sich aber in den von den Parteien und Bündnissen vorgeschlagenen Auswegen aus den multiplen Problemfeldern. Offensichtlich sind diese nicht zur vollen Zufriedenheit der Wähler. Wirft man etwa einen Blick auf die Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen, so zeigten in einer Befragung von Freeda Media 85 Prozent ihre Unzufriedenheit mit den Programmen der politischen Kräfte, die nicht den Bedürfnissen der jüngeren Generation entsprächen. Die Programme der vier wesentlichen Parteien und Bündnisse im Hinblick auf den Wahltermin am Sonntag verraten, welche Antworten die verschiedenen Blöcke auf die drängendsten Probleme bieten.

Energiekrise und Inflation

Die europaweit spürbare Teuerungs- und Energiekrise macht auch vor Italien nicht Halt. Kaum verwunderlich, dass erschwingliche Energiepreise derzeit absolute Priorität bei den Wählern haben. Das Mitte-rechts-Lager aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia schlägt zur Linderung etwa Mehrwertsteuersenkungen auf lebensnotwendige Güter und Energie vor, fordert ebenso wie nahezu alle politischen Kontrahenten den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energiequellen.

Gemeinsam mit dem von Carlo Calenda und Matteo Renzi angeführten liberalen Bündnis Azione-Italia Viva (A-IV) fordert man zudem einen europäischen Gaspreisdeckel sowie die Nutzung von Atomenergie. Letzteres lehnen sowohl der Partito Democratico (PD) als auch die Fünf-Sterne-Bewegung ab. Die Sozialdemokraten um Parteichef Enrico Letta fordern hingegen erschwingliche Energieverträge für untere und mittlere Einkommensschichten - Giuseppe Conte und seine Fünf-Sterne planen die Einrichtung eines "Energy Recovery Funds" für nachhaltige Investitionen nach dem Vorbild des "NextGeneration EU", der durch gemeinsame europäische Anleihen finanziert werden soll.

Wachstum und Steuern

Neben Maßnahmen gegen die Inflation hat auch die Förderung des Wirtschaftswachstums oder der Kampf gegen Steuerhinterziehung einen hohen Stellenwert in den Reihen der Wähler. Die Senkung der Steuerlast für Unternehmen wird von allen politischen Kräften vorgeschlagen. Während Mitte-rechts mit einer sogenannten Flat-Tax aufwarten will, sucht man Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung in deren kollektivem Wahlprogramm jedoch vergeblich.

Demgegenüber bewirbt der PD als Gegenprogramm zu den rechten Plänen eines einheitlichen Steuersatzes die schrittweise Abschaffung der regionalen Wertschöpfungssteuer IRAP. Zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung fordert die Partei bessere Rückverfolgbarkeit von Zahlungen, die Stärkung der zuständigen Behörden sowie eine Reform des Steuereinzugs. Diesen zu vereinfachen plant auch Contes Fünf-Sterne-Bewegung. A-IV schließlich möchte insbesondere Jungunternehmer durch steuerliche Vorteile entlasten.

Arbeit und Bürgergeld

Die italienische Arbeitslosenquote liegt mit 7,9 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 6 Prozent, das Durchschnittseinkommen in Italien hingegen weit unter dem Schnitt der Euroländer. Angesichts dieser Zahlen fordern PD, Fünf-Sterne-Bewegung und A-IV die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der nicht unter 9 Euro pro Stunde liegen soll. Die Fünf-Sterne wollen, genauso wie der PD, Anreize für die Beschäftigung von Frauen und jungen Menschen schaffen und zudem eine Reduzierung der Arbeitszeit, bei gleichbleibendem Lohn erreichen. A-IV plant Steuerbegünstigungen von Leistungsprämien.

Mitte-rechts hingegen will Arbeitnehmer vor allem steuerlich entlasten, gegen Schwarzarbeit vorgehen sowie etwa die Unfallprävention forcieren und die Kosten für Arbeitssicherheit senken. Das von der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführte und vehement verteidigte "Reddito di cittadinanza" (Bürgereinkommen) soll nach Ansicht der Mitte-rechts-Koalition einer aktiveren Arbeitsmarktpolitik weichen.

Für eine Reform des Bürgergeldes machen sich aber auch die Sozialdemokraten sowie Renzi und Calenda stark. Die beiden Zentristen fordern dessen Streichung nach Ablehnung einer Anstellung und die generelle Reduzierung der Beträge nach zwei Jahren. Gerade diese Thematik könnte aber in den umkämpften Wahlkreisen Apuliens und Kampaniens zum Zünglein an der Waage werden, wo das Gros der Bezieher des Bürgereinkommens zu verorten ist, und somit der Fünf-Sterne-Bewegung in die Karten spielen.