Die Frage der universitären Ausbildung lautet nicht ob, sondern wie.
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Das Pendant der Debatte um die Akademisierung der Ausbildung von KindergartenpädagogInnen wird dieser Tage in Südtirol geführt. Die Universität Bozen bildet an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät in Brixen KindergartenpädagogInnen und VolksschullehrerInnen aus. Das universitäre Ausbildungssystem gilt als Vorzeigemodell im europäischen Primarbereich und erfüllt als mitteleuropäische Bildungsstätte eine wichtige Brückenfunktion zwischen dem deutschen, österreichischen und italienischen Kulturraum. Die universitäre Ausbildung ist als Wertzuwachs der frühkindlichen Bildung anzusehen. Universität und höchste Bildungsqualität sind nicht zu trennen. Die Frage lautet daher nicht ob die Ausbildung der KindergartenpädagogInnen an der Universität erfolgen soll, sondern wie.
Die akademische Ausbildung genügt den Anforderungen nicht
Diese Frage stellen derzeit die Führungskräfte und Fachkräfte des Südtiroler Kindergartens. Die soeben veröffentlichte Studie, die 2013 und 2014 bei 156 bereits im Beruf stehenden KindergartenpädagogInnen durchgeführt wurde, hat eines gezeigt: Die 1997 eingeführte akademische Ausbildung an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen genügt noch nicht den Anforderungen der Praxis und muss mit Blick auf eine neue Lernkultur verbessert werden.
Die Kernaussagen der Befragten sind eher ernüchternd: Demnach seien Theorie und Praxis im universitären Lehrsystem weitgehend unverbunden, die Ausrichtung der Lehrinhalte auf die Schule und die Bindung der Lehrbeauftragung an Schulexperten tragt kaum zur Reflexionskompetenz der KindergartenpädagogInnen bei. Den DozentInnen aus dem Ausland sei die Bildungslandschaft Südtirols und damit die spezifische didaktische Struktur von Kindergarten und Schule in einem multiethnischen Gebiet weitgehend fremd, und sie erhalten dazu auch keine Einführung oder Hilfestellung. Feldkompetenz als Qualitätsmerkmal werde bei der Lehre nicht berücksichtigt, Praxis und Theorie nicht vernetzt. Obwohl die akademische Ausbildung den Auftrag hat, die Studierenden auf den Beruf vorzubereiten, habe die Universität Bozen den Bedarf der Praxis nie erhoben und operiere losgelöst von Kindergarten und Schule. "Praxisfähigkeit" sei bei den Akademikern vordergründig auf Fingerspiele, Lieder, Tagesablauf, formale Aspekte der Bildung bezogen und wird weniger mit Reflexionskompetenz und eigenwirksamem Handeln in Verbindung gebracht – erbringt also gerade das nicht, was die Akademisierung an Qualitätssteigerung erbringen sollte.
Was also ist aus den Südtiroler Ergebnissen zu lernen? Einerseits braucht es eine praxisfähige Ausbildung, die "stummes Erfahrungswissen" (tacit knowledge) der PraktikerInnen reflektiert und zur Sprache bringt. Diesen Herausforderungen scheint die tradierte Lehrkultur noch nicht vollends zu genügen, da sie zu stark auf Wissensvermittlung und Prüfungsstoff fokussiert. Die Südtiroler Studie wirft die methodische Frage auf, welche Ausbildungskonzepte die Persönlichkeitsentwicklung fördern und die KindergartenpädagogInnen zu Handlungskompetenz befähigen. Mit dieser Zielsetzung tritt der Südtiroler Kindergarten an die Universität heran. Die Studie ist auch als Bemühung zu werten, den Lehrkörper der Bildungswissenschaften für die Anliegen der frühen Kindheit zu gewinnen und die fünf Studienjahre des Masterlehrganges bestmöglich auf die kindlichen Entwicklungsbedürfnisse auszurichten und wissenschaftliche Theorien praktisch fruchtbar zu machen. Die daraus erwachsende politische Debatte ist für die langfristige Lösungsfindung ebenso wichtig wie die Frage, was Kindergärten an akademischem Know-how für die Bewältigung der komplexen Zukunftsaufgaben brauchen.
Die Frage, ob Kindergarten und Uni zusammen gehören, stellt sich dabei allerdings nicht, denn dass die Universität den zukünftigen Fachkräften Lehr- und Lernchancen bietet und das Forschungspotential erhöht, darüber sind sich alle einig.
Nicht nur an der Uni wird Wissen produziert
Als Antwort auf die Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten wird in Südtirol nun der Kreislauf-Ansatz "Multiversität" diskutiert, der seit den 1990er Jahren an der Uni Berkeley in Kalifornien entwickelt wurde. Er geht davon aus, dass die Universität nicht der einzige Ort ist, an dem Erfahrungswissen produziert wird – im Prinzip kann dies in jedem Lern- Spiel- und Lebensraum geschehen. In der pädagogischen Praxis wird "schweigendes Erfahrungswissen" im Tun erworben, das an der Uni reflektiert und mit anderen Ansätzen verglichen werden muss, um dann neu und bewußter in die Praxis zurückzukehren. Dann beginnt der Kreislauf, der nie abzuschliessen ist, von neuem. Universität ist in dieser Sichtweise nicht ein privilegierter Ort, sondern steht im Kreislauf mit der Praxis, ja kann ohne sie genausowenig sein wie die Praxis ohne theoretische Reflexion.
In Südtirol jedenfalls fordert derzeit der Kindergarten die öffentliche Diskussion über diesen Kreislauf von Erfahrung und Wissen, von Praxis und Theorie, von pädagogischem Feld und wissenschaftlicher Lehre ein. Er stellt damit die Universität vor keine geringe Aufgabe, nämlich sich auf die paritätische Ebene des Dialoges einzulassen. Ein vertiefter Austausch der Südtiroler Erfahrungen mit der österreichischen Diskussion wäre aufgrund der Gleichzeitigkeit der Debatte über die Kernthemen der frühen Bildung und die Vorreiterrolle der universitären Ausbildung ein großer Gewinn für alle Seiten.
Die "Feldstudie 2014: Umfrage zur Praxisfähigkeit der universitären Ausbildung von Kindergärtnerinnen an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen" wurde von Beatrix Aigner und Jutta Tappeiner Ebner erstellt, mit wissenschaftlicher Begleitung von Roland Benedikter (Oktober 2014). Im Zuge der Studie wurden 156 pädagogische Fachkräfte in der Hälfte der acht Südtiroler Sprengeln (Neumarkt, Bozen, Lana und Meran) mittels Fragebögen befragt. Aigner und Tappeiner sind Direktorinnen der Kindergartensprengel Neumarkt und Lana, Aigner ist auch Vertragsprofessorin an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Uni Bozen, Mitautorin der geltenden Rahmenrichtlinien des Südtiroler Kindergartens und war Gründungsmitglied der Freien Universität Bozen. Benedikter forscht am Zentrum für globale und internationale Studien der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und ist Vollmitglied des "Club of Rome".