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"Ja, ich bin wirklich ein Faschist"

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

In Italien gibt es zahlreiche Menschen, die den "Duce" verehren, als sei nichts gewesen. Wie ist das möglich?


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Vor dem Bürgerklub in Latina sitzen drei Herren auf schwarzen Plastikstühlen an einem runden Tisch und halten ihren Morgenplausch. Interessiert mustern sie die Besucher, von denen einer heute zufällig ein schwarzes Hemd trägt. "Die Farbe mag ich", sagt der ältere Herr mit Hemd, Krawatte und schwarzen Hosen. Ungefragt berichtet er dann von seiner politischen Karriere in der Nachkriegszeit bei den italienischen Neofaschisten.

Schwarz, das ist die Farbe des Faschismus in Italien; "Schwarzhemden" werden die Fans Benito Mussolinis bis heute genannt. Dann schließt der freundliche ältere Herr mit den Worten: "Ja, ich bin wirklich ein Faschist."

Latina ist eine Stadt mit 130.000 Einwohnern, 70 Kilometer südlich von Rom. In den 1920er Jahren herrschten hier in den Pontinischen Sümpfen noch die Malaria-Mücken. Mussolini ließ die Sümpfe trockenlegen und eine Stadt namens Littoria errichten, das heutige Latina. 1932 weihte der "Duce" die Stadt höchstpersönlich ein. Viele Menschen hier haben eine mehr als unbeschwerte Verbindung zum Faschismus und zu Mussolini.

Anerkennung für den "Duce"

"Wir sind dankbar, dass das Regime die Gegend den Sümpfen entrissen hat", sagt Alfredo De Santis, der Vorsitzende des Bürgerklubs an der Piazza del Popolo. "Jede Ecke atmet Mussolini." Die Stadt habe eine gewisse Anerkennung für den "Duce", der vielen Familien aus dem Norden hier eine neue Existenz ermöglicht habe, gesteht der 75-Jährige. Das Regime holte Siedler aus Norditalien nach Littoria, vor allem aus dem Veneto kamen die Arbeiter.

Doch was hat das alles mit heute zu tun und der Aussicht, dass die Postfaschisten unter Giorgia Meloni nach den Wahlen am Sonntag in Italien an die Regierung kommen könnten?

Die Frage ist, wie stark die Verbindung vom Damals zum Heute ist und welches Verhältnis viele Italienerinnen und Italiener zum totalitären Regime zwischen 1922 und 1945 haben.

Im faschistisch geprägten Stadtbild ist der Ortsname Littoria noch präsent. Auf den Gullideckeln sind Liktorenbündel abgebildet, die von den Faschisten übernommene Machtinsignie aus dem alten Rom. Die Piazza del Popolo mit dem Rathaus, die Piazza della Liberta mit dem Palazzo del Governo - alles Beispiele der als Rationalismus bezeichneten monumentalen faschistischen Architektur. Ein Gebäude in Latina, der "Palazzo M", ist sogar der Initiale Mussolinis nachempfunden. Das sieht man allerdings nur aus der Vogelperspektive.

Nicht, dass Latina eine ganz und gar neofaschistisch geprägte Stadt wäre. Die Stadt ist heute vielfältig, hatte linke Bürgermeister, Ableger der Universitäten Roms befinden sich hier. Die Jugend aus der Umgebung kommt, um hier den Aperitif einzunehmen. "In der kollektiven Wahrnehmung bleibt Latina immer Littoria", sagt der Lokaljournalist Vittorio Buongiorno. Die zweitgrößte Stadt der Region Latium habe seit dem Jahr 1946 eine bewegte, vielfältige Geschichte. Aber die Prägung durch den Faschismus blieb.

Auch Alfredo De Santis will nicht missverstanden werden. "Ich bin ein Rechter", betont er, "aber ein liberaler Rechter." Wenn man ihn fragt, wie er zu Meloni steht, dann lässt er keinen Zweifel, dass er sie am Wochenende wählen wird. "Aber sie sollte sich noch mehr an der Nato als am ungarischen Präsidenten Viktor Orban orientieren", meint De Santis.

Auch Mussolini aß hier

Dann sagt er auch Sätze wie diesen: Wenn Meloni eines Tages entscheiden würde, die von den Neofaschisten übernommene Flamme aus dem Parteisymbol der Brüder Italiens herauszunehmen, dann brächte ihn das zwar nicht um den Schlaf. "Aber ich würde mir die Nase zuhalten." Die Idee, das ist klar, gefällt ihm nicht. Über den Faschismus sagt er das, was auch Meloni so ähnlich öffentlich kundtut. Die Rassengesetze seien ein "Fehler", der Nazimus eine "scheußliche Sache" gewesen.

Bei Mussolini-Nostalgikern beliebt ist das Ristorante Impero in Latina. Der Name, den der Gründer des Restaurants Virgilio Silvestri ersann, steht für die damaligen Weltmacht-Fantasien des Regimes. Mussolini aß ein einziges Mal, im Jahr 1934, im Lokal und wurde damals vom Großvater der aktuellen Wirtinnen verköstigt.

Der "Duce" ist hier allgegenwärtig, schließlich verdanken sie ihm auch die Gründung des Restaurants, das vor allem die Arbeiter in der Stadt ernährte. Ein Schwarz-Weiß-Foto an der Wand zeigt Mussolini auf einem Pferd mit seinem Sohn Romano. Ein anderes zeigt den "Duce" auf dem Balkon des Rathauses bei der Einweihung der Stadt. Andere Bilder zeugen vom Aufbau Littorias in den 1930er Jahren.

Alles weist zurück in eine als glorreich empfundene Geschichte. Mit der Presse will die aktuelle Eigentümerin nicht mehr reden. Der Zeitung "La Repubblica" gestand sie aber vor Wochen: "Ich bitte Giorgia Meloni: Bring Littoria zurück zum Glanz der Vergangenheit, denn es muss wieder Littoria heißen. Möge sie die Stadt von Benito Mussolini wieder jung und produktiv machen!"

Woher kommt diese sorglose Verherrlichung des faschistischen Regimes und seiner Protagonisten? "Das faschistische Regime in Italien hatte repressiven Charakter, die Reduzierung der Kritik auf den Erlass der Rassegesetze und den Kriegseintritt ist eine massive Verkürzung", sagt Lutz Klinkhammer, Historiker am Deutschen Historischen Institut in Rom. Italiens Umgang mit der Vergangenheit sei mit jenem Deutschlands aber nur schwer zu vergleichen. "Man darf nicht vergessen, dass der Faschismus in Italien von innen gestürzt wurde, Mussolini wurde von den Partisanen getötet. Man hat sich gewissermaßen selbst aus dem Sumpf gezogen", fügt der Historiker hinzu. Diese Tatsache habe dazu beigetragen, dass die Abrechnung mit dem Regime gebremst wurde und auch viele faschistische Monumente stehen blieben.

Das Böse blieben die Nazis

"Nach 1945 kam es in breiten Teilen der Gesellschaft zu einer beschönigenden Sicht auf den Regimefaschismus, an dem einfach zu viele Menschen beteiligt waren", erklärt Klinkhammer. Das Böse im kollektiven Gedächtnis blieben der Nationalsozialismus und die deutsche Besatzung in Italien ab 1943. Hinter ihr kann man sich trotz aller Kooperation der italienischen Faschisten bis heute gut verstecken.

400 Kilometer weiter nördlich in der Emilia-Romagna liegt das Dorf Predappio, etwa 6.000 Menschen leben hier. Benito Mussolini wurde hier im Jahr 1883 geboren, er baute seinen Heimatort zu einem faschistischen Modelldorf um. Am Ortsschild haben Neonazis aus Italien und Deutschland sich mit Aufklebern verewigt. Am Geburtstag Mussolinis sowie am Jahrestag des Marsches auf Rom am 28. Oktober kommen Gruppen von Neofaschisten nach Predappio, um - ganz in Schwarz - des "Duce" zu gedenken.

Mehrere Souvenirgeschäfte gibt es in Predappio, das erste wartet bereits hinter der ersten Kurve im Ort. Man findet hier alles, was ein ultrarechtes Herz begehrt. Im Schaufenster steht eine weiße Mussolini-Büste für 90 Euro, die es drinnen auch in anderen Farben gibt. Verkauft werden Smartphone-Hüllen mit der Aufschrift "Duce". Auch Schreibwaren sind zu erwerben. "Als Italiener kommt man zur Welt, man wird es nicht", steht auf einem großen Stift. Auf einem Lineal ist zu lesen "Italien den Italienern". Das "Antikommunisten-Armband" in den Nationalfarben gibt es im Zehnerpack für fünf Euro. Dazu Bildchen von Mussolini oder Giorgio Almirante, dem Vorsitzenden der Meloni-Vorgänger-Partei Movimento Sociale Italiano.

Gruft mit Lilienduft

Wer genau sucht, der findet auch Hakenkreuz-Anstecker und kleinere Adolf-Hitler-Statuen. Verboten ist das alles nicht. Italiens Justiz erkennt im makabren Devotionalienhandel keine "Verherrlichung des Faschismus".

Am anderen Ende des Ortes liegt der Friedhof San Cassiano, auch hier haben sich Besucher mit Aufklebern an Laternenmasten verewigt, etwa die "Identitäre Generation" oder Menschen, die den rassistisch gemeinten Satz "It’s great to be white" verbreitungswürdig finden. Stattlich thront die Familiengruft der Mussolinis am Ende des Friedhof-Hauptwegs. Am Eingang steht ein schwarz gekleideter und tätowierter Bodyguard, offenbar von der Familie engagiert.

Unten in der Krypta, wo die Gebeine von 14 Familienmitgliedern ruhen, riecht es nach Lilien. In zentraler Position steht der Sarkophag Benito Mussolinis, verziert von marmornen Liktorenbündeln. Auf das Grab hat jemand eine Italienflagge und zwei rote Rosen gelegt. "Dem Vater des Vaterlands", ist auf einem Band in Nationalfarben zu lesen. Über dem Sarkophag steht eine überdimensionale weiße Mussolini-Büste.

Der "Duce" soll auch nach seinem Tod mächtig wirken. Opfern des faschistischen Regimes muss die Verherrlichung wie Hohn vorkommen. Aber damit nicht genug. Das Kondolenzbuch vor dem Grab trägt die Inschriften unzähliger Bewunderer. "Noch heute bleiben deine großen Werke", hat einer geschrieben. "Ich lebe immer nach deinen Regeln - für immer mit uns", ein anderer. "Onore", lautet ein weiterer Eintrag.

Im Ort, gegenüber vom Geburtshaus Mussolinis, schneidet eine Frau in Arbeitskleidung ihre Gartenhecke. "Meine Eltern kannten den Duce noch persönlich", erzählt sie. Mussolini habe auch Fehler gemacht, sagt die freundliche Italienerin. "Aber schauen Sie sich doch im Ort um, alles ist von ihm. Für Predappio hat er auch Gutes geleistet."