Burschenschafter in der Hofburg, Demos in der City, Dollfuß im Parlament: Wie viel Dissens vertragen wir?
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Wie viel Dissens, wie viel Konflikt verträgt unsere Demokratie?
Sollen weit rechts stehende Burschenschafter Veranstaltungen unter freiem Himmel in der Wiener Innenstadt veranstalten dürfen - und wie steht es mit einem Ball, womöglich sogar in der Hofburg, diesem imperialen Prachtbau im Dienste der Republik? Dürfen Demonstranten Unternehmern in der Innenstadt das Geschäft vermasseln und Touristen am Shoppen hindern? Darf die ÖVP in ihren Klubräumen im Parlament ein Porträt ausgerechnet jenes Mannes, Engelbert Dollfuß, hängen haben, der eben dieses Parlament 1933 ausschaltete?
Sollen sie nicht!, schallt es einem
in der öffentlichen Debatte laut entgegen. Es hat den Anschein, als ob der Raum für als zulässig empfundene Meinungsäußerungen und Auffassungsunterschiede eher beschnitten als erweitert wird. Die Gegner stehen einander ja nicht gegenüber und tragen auf diese Weise ihre Meinungsverschiedenheit aus, sondern sie sagen sich gegenseitig ins Gesicht: Am besten wäre eigentlich, Ihr dürftet nicht dürfen.
Wie fast immer, steht auch hinter dieser Verbotsgebot eine gute Absicht, nämlich der Traum von einer Demokratie von perfekter Harmonie und Transparenz. Und was es in so einer Gesellschaft noch an Konflikten gibt, beschränkt sich auf das Materialistische, also etwa die Verteilung von Steuerlast und Förderungen.
Das ist natürlich pure Illusion. Die Vorstellungen darüber, wie und nach welchen Werten wir leben sollten, gehen in der Realität sehr viel weiter und grundsätzlicher auseinander.
In der politischen Sprache wird diese grundsätzliche Differenz allerdings verwischt. Unter etablierten Politikern ist es unschicklich geworden von "Gegnern", ganz zu schweigen von "Feinden" zu sprechen, viel lieber greift man auf die harmloseren Begriffe "Mitbewerber" oder "Konkurrent" zurück.
Das verwischt jedoch die bestehenden Unterschiede unzulässig stark. Die aus Belgien stammende Politikwissenschafterin Chantal Mouffe versucht, mit ihrem Modell des "agonistischen Pluralismus" einen Ausweg aus diesem Dilemma aufzuzeigen. Für sie ist ein Gegner ein "legitimer Feind, ein Feind, der wie wir den ethisch-politischen Prinzipien der Demokratie verhaftet ist." Oder anders ausgedrückt: Man ist sich einig, nicht einig zu sein, akzeptiert aber, dass auch der andere auf dem gemeinsamen weltanschaulichen Fundament in Sachen Demokratie steht. Klingt einleuchtend, ist aber in der Politik offensichtlich leichter gesagt als getan.
Das lässt für die absehbare Zukunft wenig Gutes erahnen; immerhin spricht einiges dafür, dass grundsätzliche Konflikte in Österreich eher zunehmen als abnehmen werden. Unser Land wird - vor allem, was öffentliche Diskussionen angehen wird - noch deutlich bunter werden als es heute schon ist. Und mit der zunehmenden Artikulationsfähigkeit all jener, die heute eher übersehen werden, werden auch die grundsätzlichen Konflikte häufiger werden.