Regierung einigt sich auf völkerrechtlich umstrittene Maßnahme. Kontrollen an den Grenzen sollen verstärkt werden.| Kein Kommentar der EU-Kommission zur Obergrenze. | Mikl-Leitner: Notversorgung von Asylwerbern in Lagern möglich.
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Wien. Die österreichische Regierung und die Landeshauptleute waren sich beim Asylgipfel am Mittwoch darüber einig, was sich in den letzten Wochen ohnehin abzeichnete: Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge soll begrenzt werden. Angesichts dessen, dass es innerhalb der Europäischen Union zu keiner gemeinsamen Lösung kommt, setzt Österreich nun ein nationales Statement. Demnach plant die Regierung einen "Richtwert" (Kanzler Werner Faymann) beziehungsweise eine "Obergrenze" (Vizekanzler Reinhold Mitterlehner). Über den Namen blieb man sich uneinig.
Der gewünschte Effekt bleibt gleich. Heuer möchte Österreich nur noch 37.500 Asylwerber aufnehmen, bis 2019 sollen es maximal 127.500 sein. Dies entspricht 1,5 Prozent der heimischen Bevölkerung. Die 90.000 Asylanträge aus dem Vorjahr werden nicht einberechnet.
Was dem "Richtwert" oder der "Obergrenze" allerdings noch fehlt, ist ein juristisches Fundament. Die Regierung weiß aus heutiger Sicht nicht, was passiert, wenn die festgelegte Grenze erreicht ist. Sprich, ob und wie Flüchtlinge dann an der Grenze abgewiesen werden können. Um das zu eruieren, wurden zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, kündigte die Regierungsspitze an. Besonders wichtig: Der Plan soll mit der nationalen wie der europäischen Judikatur im Einklang stehen.
Seitens der EU-Kommission gab es noch keinen Kommentar zur Obergrenze. "Es ist kein Rechtstext angenommen worden, und deshalb gibt es für uns nichts zu analysieren", eine Sprecherin von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos.
"Notlösung" und "Plan B"
Faymann bezeichnete die Begrenzung als "Notlösung" und "Plan B", der auch eine EU-Lösung forcieren soll. "Wir können in Österreich nicht alle Asylwerber aufnehmen."
Mitterlehner pflichtet bei: "Die große Anzahl an Flüchtlingen überfordert unser System. " Daher werde man auch im "Grenzmanagement" auf Kontrollen und Registrierungen setzen, um darauf vorbereitet zu sein, dass es an der Grenze künftig möglicherweise auch "Zurückweisungen" - wie es derzeit bereits Deutschland praktiziert - geben könne.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zeigte sich erfreut über den Regierungskonsens und erwartet die Umsetzung noch vor dem Sommer. Dann wird nämlich wohl auch die Zahl der ankommenden Flüchtlinge wieder ansteigen. Am Mittwochabend nannte die Ministerin dann im ATV zwei Möglichkeiten, was passiert, wenn die Asylwerber-Obergrenze erreicht wird. So könne Österreich bei einer Überschreitung der Grenze nach schwedischem Vorbild Asyl-Anträge annehmen, sie aber erst nach Jahren bearbeiten und die Asylwerber in dieser Zeit in Lagern notversorgen. Die zweite Möglichkeit seien Rückschiebungen in sichere Drittstaaten, aus denen die Asylwerber gekommen sind.
Offen blieb ein Punkt, den der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ins Spiel brachte. Laut ihm soll in der Begrenzung auch der Familiennachzug miteingerechnet sein. Das würde die Zahl wohl zusätzlich senken, angesichts dessen, dass laut dem Innenministerium auf zwei positive Asylentscheidungen ein Familiennachzug kommt. Auf die Frage, ob künftig bei Erreichen der Obergrenze nachziehende Familienmitglieder abgewiesen werden, konnte Mitterlehner keine Auskunft geben: "Wir haben jetzt einmal eine politische Lösung erzielt." Ob der Familiennachzug nun, wie Haslauer ankündigte, in die Obergrenze miteingerechnet werden soll oder nicht, ist offensichtlich noch nicht gänzlich ausverhandelt - im Regierungspapier ist dazu jedenfalls nichts zu lesen. Aus dem Kanzleramt heißt es zudem, dass dieser Punkt nicht Gegenstand der Verhandlungen am Asylgipfel gewesen sei. Es seien "beide Interpretationen zulässig, weil es für beide auch Argumente rechtlicher Natur gibt". Die Regierungsspitze ist überzeugt, dass das Maßnahmenpaket aus Grenzsicherung und verkürzten sozialstaatlichen Leitungen für Flüchtlinge Österreich als Zielland unattraktiver machen wird. Ein Asylrecht auf Zeit wird kommen, so weit ist man sich einig - wie genau die neue Regelung aussehen wird, steht noch nicht fest. Bezügliche einer restriktiveren Handhabung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge wurde die Position von ÖVP-Integrationsminister Sebastian Kurz miteinbezogen: Der Bezug derselben soll an die Einhaltung der Integrationspflichten - also Spracherwerb, gesellschaftliche Integration und "arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten" - gebunden werden. Und: "Differenzierungsmöglichkeiten zwischen Flüchtlingen, Fremden und Österreichern werden derzeit geprüft." Das hierfür in Auftrag gegebene Rechtsgutachten soll im Februar vorliegen.
Umgehend beginnen sollen außerdem Planungen für ein Grenzmanagement am Brenner wie auch an weiteren Grenzübergängen. An das Verteidigungs- und an das Innenministerium erging die Weisung, möglichst rasch einen neuen Einsatzplan für die Kooperation an der Grenze auszuarbeiten. Damit einhergehen soll eine "Aufwertung" des Bundesheeres, zudem sollen 2016 bis zu 1500 Exekutivbeamte zusätzlich aufgenommen werden. Rechtsgutachten hin oder her - dass die Maßnahmen an der Grenze kommen, ist für Vizekanzler Mitterlehner fix: "Es gibt nicht nur das Recht auf Asyl, ein Staat hat auch das Recht auf Sicherung seiner Grenzen."