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Jahr der versäumten Gelegenheiten

Von Andreas Unterberger

Politik

Pensionssegen statt Schuldenabbau. | Wien. 2007 scheint ein Jahr ohne Eigenschaften, also ein gutes Jahr gewesen zu sein. Können wir uns doch freuen, dass Österreich und der Welt die ganz großen Krisen erspart geblieben sind. Ein etwas kritischerer Blick sieht hingegen ein anderes Bild: 2007 als das Jahr der versäumten Gelegenheiten. Das gilt für Europa, das sich herrlich hinter dem Buhmann George W. Bush verstecken konnte, wie auch für Österreich.


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Die Alpenrepublik hat 2006/07 den Höhepunkt des Konjunkturzyklus erlebt, die fettesten Jahre des Jahrzehnts. Das wäre für alle Experten - von den Neoliberalen bis zu den Keynesianern - der ideale Zeitpunkt zum Anlegen von Überschüssen und für Reformen, da die Sanierungs-Schmerzen bei boomenden Arbeits- und sonstigen Märkten am geringsten sind.

Die Chance blieb in arger Weise ungenutzt. 2006 vermied die alte Regierung vor den Wahlen alles Unangenehme; 2007 wollten die an die Macht zurückgekehrten Sozialdemokraten zumindest einige Wahlversprechen realisieren - und stießen auf beklemmend wenig Widerstand der Volkspartei.

Vor allem Pensionisten und Pflegebedürftige können sich eines warmen Geldregens erfreuen (sofern sie nicht zu jener Gruppe zählen, die einst höhere Beiträge ins Pensionssystem einbezahlt hat!). Schuldenmachen zugunsten der Alten kann freilich nicht mit dem Standardschmäh verteidigt werden, die Schulden dienten Zukunftsinvestitionen. Erst in den allerletzten Tagen des Jahres gab es hoffnungsvollere Signale, als die Regierung wagte, den forschen Rufen der Krankenkassen "Geld her!" - zumindest vorerst - ein "Nein!" entgegenzusetzen. Dieses Nein ist freilich noch lange nicht die nötige Gesamtreform des Gesundheitssystems.

Ein völliges Versagen gab es bei der Notwendigkeit, via Finanzausgleich und Verfassungsreform den teuren Föderalismus zu beschneiden. Im Gegenteil: Die mächtigen Bundesländerbürokraten können sogar über mehr Geld jubeln.

Im Bildungswesen wiederum verhinderte die alberne Gesamtschul-Debatte die wirklich nötigen Reformen: eine Niveauverbesserung bei AHS- und Uni-Absolventen; eine Schließung der Bildungslücke bei den Zuwandererkindern; und die Förderung einer wirklich exzellent ausgebildeten Elite.

Im fetten Jahr 2007 wurden also viele Zukunftschancen vertan. Ein Grund dafür liegt in der Anomalie der Demokratie: Gerade dann, wenn Reformen am problemlosesten wären, ist bei Bürgern und Politikern die Einsicht in deren Notwendigkeit am geringsten.

Die Einsicht in Handlungsnotwendigkeiten fehlt aber auch der europäischen Politik. Diese hat sich zuletzt immer hinter der angeblichen Unfähigkeit der USA versteckt. Dabei hat Amerika international zuletzt trotz des bitteren Rückschlags in Pakistan am Jahresende viele (in Europa kaum gewürdigte) Erfolge erzielt: Nordkorea verzichtete unter US-Druck höchstwahrscheinlich, der Iran möglicherweise auf Atomwaffen. Im Irak ging die Zahl der Terror-Toten auf einen Bruchteil zurück. Am Jordanwestufer gibt es revitalisierte Friedenshoffnungen. Und Moskau schluckt neuerdings wieder erstaunlich viel Kreide.

Europa hingegen hat weder Konzept noch Konsens, was es täte, wäre es selbst die führende Weltmacht. Es kann offenbar nur: zögern, streiten und kritisieren.

Wann schickt Europa etwa konsistente Signale an die Türkei? Könnte es auch ohne Amerika den Kosovo und Bosnien friedlich halten? Was folgt aus Europas Kritik am Lager Guantanamo: Übernimmt es die ja nicht ganz problemlosen Häftlinge? Wie bekämpft Europa den Terrorismus? Wie löst es das immer drängender werdende Demographieproblem? Wie reagiert es darauf, dass neue ethnische Ghettos mit völlig fremden Kulturen entstehen?

Wer will uns glauben machen, dass die europäische Tschad-Expedition einen klaren und durchführbaren Auftrag hat? Nimmt Österreich daran ohnedies nur wegen seiner Sicherheitsrats-Kandidatur teil? Vergessen wir hinter der Klima-Hysterie die wirklichen Probleme der Dritten Welt? Gelingt es, die EU irgendwann einmal doch in eine funktionierende und nicht mehr maßlos überregulierende Konstruktion zu verwandeln?

Allzu viele Fragen, die am Ende des Jahres genauso offen sind wie am Beginn. Allzu viele Fragen, um das ablaufende Jahr als ein gelungenes zu bejubeln.

Fragen zum Jahreswechsel

+++ Jahresrückblick 2007 zum Download