Recherche in Bibliotheken und Archiven sowie der Besuch von Vorlesungen gehört auch in Zukunft zum Geschichtsstudium an der Universität Wien dazu. Ein wichtiger Bestandteil wird aber auch immer mehr der Computer, dessen Beherrschung in ein paar Jahren wahrscheinlich eine neue Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen sein wird. Die "historischen Institute" in Wien steuern jedenfalls mit umfangreichen e-Projekten auf eine solche Zukunft hin.
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Geschichtstheorie, Zitierregeln, Thesenbildung, Aufbau einer schriftlichen Arbeit, Recherche und sonstige handwerkliche Fähigkeiten, die man als Historiker so braucht lernen Studierende der Geschichte gleich in den ersten Semestern. Mit dem e-Projekt "Geschichte Online" bieten das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und das Institut für Geschichte als Projektträger eine Übersicht über alle Grundlagen für das Geschichtsstudium.
Etliche Zitierregeln sind auf http://www.geschichte-online.at zusammengefasst exemplarisch aufgelistet, Datenbanken erklärt und Themenfelder der Geschichtsdidaktik erläutert. Alles ist mit Beispielen und Übungen zum Selbststudium versehen.
Am Anfang mehr Arbeit . . .
Ein wesentlicher Teil des Projektes "Geschichte Online" ist der Hypertextcreator der, auf der Basis eines Redaktions- und Datenbanksystems, die online-Lehre in Seminaren und Vorlesungen unterstützt.
Einer der Projektverantwortlichen, Wolfgang Schmale vom Institut für Geschichte hat letztes Wintersemester die Arbeiten von etwa 100 Studierenden über eine solche Datenbank verwaltet. Obwohl es kürzere Texte waren sei es doch deutlich mehr Arbeit gewesen, als eine herkömmliche Seminararbeit zu korrigieren, erläutert Schmale im Interview mit der "Wiener Zeitung". Der Mehraufwand habe sich aber in jedem Fall gelohnt.
"Der Spaßfaktor - in ganz ernstem Sinn - ist sehr groß", so der Historiker, und das steigere die Motivation. Die Resonanz der Studierenden sei sehr gut gewesen. Von vielen wurde es vor allem als berufsvorbereitend angesehen, denn der Umgang mit Hypertexten wird immer wichtiger.
. . . dann weniger Papierkrieg
Der Erwerb von Grundkenntnissen in Eigenregie erleichtert nicht nur das Uni-Leben für berufstätige Studierende sondern könnte in Zukunft auch die Proseminare und Einführungsvorlesungen und damit die Lehrenden entlasten. Es ist jedoch keinesfalls daran gedacht diese Lehrveranstaltungen oder Präsenzphasen abzuschaffen, betont auch Schmale.
Ebenso bringt auch ein weitere e-Projekt, die "Internetgestützte Lehre" (http://www.univie.ac.at/igl.geschichte ) sowohl für die Studierenden - die für Informationen zu Lehrveranstaltungen nicht mehr auf die Öffnungszeiten der Bibliotheken angewiesen sind, in denen die Mappen der Vortragenden stehen, als auch für Lehrende Vorteile. "Ich habe viel weniger Zettelwirtschaft", scherzt Schmale und bestätigt gleichzeitig, dass - sobald man sich an das neue System der Informationsorganisation und des Lehrens gewöhnt hat - die Arbeit erleichtert wird.
Mittlerweile haben sich schon über 20 Lehrende am Projekt IGL beteiligt. Einige nutzen dabei "nur" die Möglichkeit, Informationen für Studierende ins Netz zu stellen, andere benutzen auch interaktive Elemente, z.B.: ein online-Forum.
Warum gerade die Studienrichtung Geschichte, die in der Öffentlichkeit eher als "angestaubtes" Studium gilt, so ins Netz drängt, erklärt Schmale aus zwei Richtungen. Einerseits sei es allgemein so, dass die Geschichtswissenschaften teilweise sogar stärker im Netz vertreten sind als etwa die Naturwissenschaften. Andererseits habe die Geschichte in Wien den "Vorteil" gehabt, dass er aus München das Modell der IGL mitgebracht habe.
Die Zukunft ist online
Dadurch dass auf diese Weise Kollegen schon ein fast fertiges aber ausbaubares Projekt gesehen haben, seien ihnen viele Ängste genommen worden. Schmale betreut in Wien auch das Web-Projekt "past perfect", das ebenfalls bereits regen Zuspruch erhalten hat.
Probleme für solche Lehrende, die sich bislang noch gar nicht mit internetgestützten Lehr- und Lernmodellen befasst haben sieht Schmale im Moment noch nicht. Außerdem wächst die Zahl derer, die auf den Zug aufspringen täglich. "Es wird eine Zeit kommen, wenn die Studierenden schon mehr Vorwissen über e-Learning aus der Schule mitgebracht haben und dann solche Lehr- und Lernmethoden auch an den Unis verlangen", ist der Historiker überzeugt.
Auch zur Zukunftsmusik gehört die systematische kommerzielle Nutzung von universitärem Wissen. Es sei hier ein Prinzipienstreit im Gange.
Die Homepage http://www.pastperfect.at bietet einen umfangreichen, vernetzten Wissens- pool über die Jahre 1492 bis 1558. Über eine Landkarte und ein Zeitrad kann in ganz unterschiedliche Aspekte - von politischen bis sozialen, von Speiseplänen bis zu Dekreten - dieser Epoche, Einblick genommen werden - und das alles gratis. Schmale ist persönlich nicht so überzeugt davon, universitäres Wissen gegen Entgeld anzubieten. Er könnte sich aber vorstellen, dass die Universitäten in ein paar Jahren aus budgetären Gründen dazu gezwungen werden sein könnten.