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Janko Ferk

Von Hans Haider

Reflexionen
"Das letzte Werk ist immer das wichtigste": Janko Ferk. Foto: Haider

Der Schriftsteller und Jurist Janko Ferk spricht über die Kultur der Kärntner Slowenen, über seine lebenslange Beschäftigung mit Franz Kafka und über sein Konzept einer "forensischen Literatur".


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Wiener Zeitung: Herr Ferk, Sie sind Richter in Zivilsachen: Wie würden Sie den slowenisch-kroatischen Grenzstreit in der Bucht von Piran entscheiden? . Janko Ferk: Ich wäre für eine großzügige Lösung, weil eine solche immer auch eine rechtliche und vor allem gerechte ist. Slowenien hat einen Küstenstreifen von 46,6 km und Kroatien einen von mehreren tausend Kilometern, die Inseln mitgerechnet. Die slowenische Küstenlinie ist also kaum länger als die 42 Kilometer der Wiener Donauinsel. Eine Korridorlösung, wie sie derzeit angepeilt wird, ist wahrscheinlich eine praktikable Variante, weil sie Slowenien einen Zugang in die internationalen Gewässer ermöglicht, und Kroatien dadurch keinen Nachteil hätte. Es geht um ein Politikum, wobei Slowenien derzeit am längeren Ast sitzt, weil es die EU-Mitgliedschaft Kroatiens boykottieren könnte.

Ist die Frage der Ortstafeln in Kärnten eine politische oder rechtliche?

Sie hat zwei Komponenten. Die rechtliche wurde vom Verfassungsgerichtshof mehrfach entschieden. Sie sollte jetzt politisch gelöst werden.

2005 brachte der Historiker Stefan Karner einen Kompromiss zustande - der aber platzte, als der eitle Jörg Haider erfuhr, dass das Papier im Bundeskanzleramt unterzeichnet werden sollte. 2006 konnte Karner die Gruppen noch einmal zu einer Einigung bewegen - doch wurden die Kärntner Sozialdemokraten von Oppositionschef Gusenbauer zurückgepfiffen. Nun trat mit Valentin Inzko ein neuer Mediator an. Hat er Chancen?

Valentin Inzko ist aus meiner Sicht das kleinste Rädchen, das man sich vorstellen kann. Ein Uhrwerk kann aber nur funktionieren, wenn auch die kleinsten Rädchen gut verzahnt mitlaufen. Die Ortstafelfrage wird von ganz anderen Organen und Umständen bestimmt, das heißt, nicht von einem Kärntner slowenischen Funktionär. Die Lösung hängt vor allem vom Willen des Bundeskanzlers, der Bundesregierung und des Parlaments ab. Von den Kärntner slowenischen Organisationen können immer nur Vorschläge kommen. Ich bin zwar überzeugt, dass sich Inzko auf Grund seiner menschlichen, kooperativen und einnehmenden Art Pluspunkte erwerben kann, er wird diese Frage als Einzelperson aber nicht lösen können.

Ihr Debütbuch, der Roman "Der verurteilte Kläger", war die aufwühlende Ansage eines jungen Kärntner Slowenen. Die Mordlust, mit der sich in diesem Buch ein juridisches Wahnsinnsystem zuletzt selber liquidiert, verstört noch heute. Sie waren damals erst 19, 20 Jahre alt. Wäre dieser starke Text im Residenz Verlag - wo damals schon die Lordsiegelbewahrer der neuen österreichischen Literatur regierten -, bei Luchterhand oder Suhrkamp erschienen, hätte Ihnen eine steile literarische Karriere gewunken.

Deretwegen hätte ich damals wohl mein Studium aufgegeben. Aber ich frage mich, ob ich damit glücklich geworden wäre, vor allem wenn ich mir Residenz-Karrieren anschaue, von denen manche zwar steil angefangen haben, dann aber im Sand verlaufen sind. Für mich wählte ich die bessere Variante mit Studienabschluss, meinem zivilen und meinem Wunsch- oder Traumberuf, der nebenher existieren kann. Das Buch war bei Zsolnay - für die damaligen Verhältnisse - ein großer Erfolg. Die Startauflage von 4000 Exemplaren wurde rasch verkauft - dank einer Kampagne, die damals einige Zeitungen gegen mich begonnen hatten.

Kann man bei Ihrem ersten Buch von "Juristenprosa" sprechen? Juristisch wäre das Bedürfnis, ein System zu konstruieren. Ich denke an "Landstriche", das erste Buch von Dr. jur. Peter Rosei, an "Der Ruinenbaumeister" des Richters Dr. Herbert Rosendorfer - und selbstverständlich an den "Prozess" des Dr. jur. Franz Kafka, der hier . . . (lacht) . . . aus jedem Eck hervorlugt.

Auch Bibelbezüge finde ich und Zitate, die sich als Denunziationen des Gerichtswesens und der Medien lesen lassen.

Nein! Ich denunziere prinzipiell niemanden, auch nicht in meiner Literatur. Aber ich hatte von Anfang an das Bedürfnis, eine forensische Literatur zu entwickeln, und damit etwas Neues in die Literatur einzubringen.

Mit dem "Verurteilten Kläger" ist mir das sicherlich als Einzigem gelungen, auch wenn andere Kollegen ebenso Rechtswissenschaften studiert, aber sich dann nicht mehr für dieses Fach interessiert haben. Ich habe mit Peter Rosei immer wieder darüber gesprochen, er will heute erzählen, gute Prosa schreiben. Ich selber will Rechtstheorie und Rechtsphilosophie in meine Texte einbauen. Jetzt hat sich der Kreis mit meiner "Forensischen Trilogie" geschlossen.

Der erste Teil dieser Trilogie heißt "Brief an den Staatsanwalt", der zweite "Brief an den Richter" und der dritte "Brief an F." Die "F." ist ja die Hauptgestalt, nicht der "K.", der die Geschichte erzählt.

Die "Forensische Trilogie" ist ein einziger Dialog, wobei der Partner nur angesprochen wird. Es fehlt die Zwiesprache, aber der Dialog ist in diesen Monolog eingebaut, indem der Sprecher die Antworten gleichsam vorwegnimmt.

Ich stelle mir die Situation eines Richters so ähnlich vor wie jene eines Psychotherapeuten, der ja die vielen Geschichten, die er hört, wieder loskriegen muss. Schreiben zur Selbstentlastung? Nein. Meine berufliche Tätigkeit ist überhaupt kein Movens für mein Schreiben. Ich trenne meine beiden Betätigungsfelder streng.

Verstehen Sie die "Trilogie" als Ihr Hauptwerk?

Mein "Hauptwerk" dürfte noch nicht geschrieben sein. Ich habe Bücher, die mir sehr wichtig sind. Dazu gehören "Recht ist ein Prozess´", ein Buch über Kafka, das Gesprächebuch "Die Geographie des Menschen". und selbstverständlich ist einem immer das letzte Werk das wichtigste.

Kafkas "Prozess" lehrt, dass ein Verfahren quälender sein kann als jede Strafe. Kam diese Botschaft bei Ihnen als Richter an?

Im europäischen gerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz des "Fair trial". Jeder Richter versucht, sich daran zu halten. "Fair trial" ist im Strafverfahren wahrscheinlich noch wichtiger als im Zivilverfahren.

Ist das Quälende eines Verfahrens auch ein Thema in Ihrer "Forensischen Trilogie"?

In diese Trilogie sind zwei Verfahren eingebaut. Für den Briefschreiber dreht sich alles um die Frage, wie die Sache ausgehen wird - nicht die gerichtliche, sondern die Liebesgeschichte. Ob K. seine F. erreichen kann, ob sich F. für K. entscheiden wird.

Janko ist die slowenische Form von Johann, Hans. Wo sind Sie aufgewachsen?

In diesem Sinn: Lieber Janko Haider! Ich bin in der österreichweit bekannten Gemeinde St. Kanzian/kocijan aufgewachsen, als die Zweisprachigkeit wirklich noch eine solche war. Wir hatten in der Volksschule in jeder Schulstufe zwei Klassen, eine war vollkommen zweisprachig, die andere deutschsprachig. Der Assimilationsdruck war stark. Wenn heute größere Klassen in beiden Sprachen geführt werden, sind die Kinder tatsächlich nicht mehr zweisprachig. Sie können Slowenisch nicht mehr so perfekt wie zu meiner Zeit. Ich habe meine Zweisprachigkeit erhalten können, weil ich das Slowenische Gymnasium in Klagenfurt/Celovec besucht habe. Eine Kultursprache kann man sich nicht ganz alleine aneignen. Ohne dieses Gymnasium könnte ich weder Literatur noch wissenschaftliche Texte in Slowenisch verfassen.

Sie haben in beide Richtungen übersetzt, viel mehr aber aus dem Slowenischen ins Deutsche.

Ja, aus dem Deutschen habe ich noch kein Buch übersetzt, wohl aber, zum Beispiel, ein paar Texte Josef Winklers. Ich überlasse dieses Feld gerne Kollegen in Slowenien. Es ist viel wichtiger, dass ich Slowenen ins Deutsche übertrage, weil es hier weniger Übersetzer gibt als umgekehrt.

Wenn man die Liste der "Slovenska literatura na Korokem", der slowenischen Literatur in Kärnten, durchschaut, findet man zehn bekannte Namen und fünfzig weitere. Gibt es einen Gruppengeist, Zusammenhalt?

In den sechziger und siebziger Jahren konnte dank der Veröffentlichungen in der Literaturzeitschrift "mladje" ein Gruppengeist entstehen. Der wichtigste Autor war der Gründer und Herausgeber Florjan Lipu. Gustav Janu war für die Lyrik zuständig. Auch seien Janko Messner, Andrej Kokot oder Jani Oswald genannt, und Valentin Polanek, der früh gestorben ist. Ich stieß in den allerletzten Jahren zur Zeitschrift. Neben den Schriftstellern sammelten sich um "mladje" auch bildende Künstler.

Wo erschien diese Zeitschrift?

Nominell in Klagenfurt, gemacht wurde sie aber im Haus von Florjan Lipu. Es ist heute kaum vorstellbar, was er für die Kärntner slowenische Literatur geleistet hat. Nachdem er sich 1981 zurückgezogen hatte, um mehr Zeit für sein eigenes Schreiben zu haben, zerfiel diese Gruppe. Heute sind die Kärntner slowenischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Wesentlichen Einzelkämpfer. Das zeigt, welche Bedeutung eine solche Zeitschrift für eine sogenannte kleine Kultur hat.

Das sah man auch in Ljubljana, wo die politische Umgestaltung von 1989/90 mitgetragen wurde von den Schriftstellern um die Zeitschrift "Nova revija".

Absolut. Viele, die sich in der "Nova revija" wiedergefunden haben, saßen in den sechziger und siebziger Jahren aus politischen Gründen in den Gefängnissen. Das werden Sie auf der ganzen Welt nicht noch einmal finden: Dass die Grundzüge einer Staatsverfassung zuerst in einer Literaturzeitschrift erscheinen. In der berühmten Nummer 57 wurden 1987 die Prinzipien der späteren slowenischen Staatverfassung veröffentlicht.

Auf der Klagenfurter Uni findet man Sie als Lehrveranstaltungsleiter. Mit Themen wie Ethik, inklusive Medizinethik, und viel Kafka. Wann sind Sie auf Kafka gestoßen?

Mit 12 oder 13 Jahren, als mir "Der Prozess" zu Hause in die Hände fiel. Ich war aber noch zu jung, erst mit 14, 15 habe ich den Roman genauer gelesen, und seither studiere ich die Kafka-Texte. Zurzeit beschäftige ich mich mit den "Briefen an Felice". Ich will in einem Essay vorsichtig die Frage aufwerfen, wie groß die Liebe Franz Kafkas zu Felice Bauer war.

Jeder Kafka-Liebhaber hat unter den kleinen Prosastücken eines, das ihm besonders nahe geht. Welches Ihnen?

Die ganz kurze und starke "Kleine Fabel" von der Katze, die die Maus frisst. Sie spielt sich im Leben wahrscheinlich hundertmal so ab: die Maus kapiert überhaupt nicht, was ihr geschieht.

Zur Person

Janko Ferk, geboren 1958 in Unterburg/Podgrad, lebt heute in Klagenfurt/Celovec. Er ist Jurist, Schriftsteller und Übersetzer, außerdem Honorarprofessor der Universität Klagenfurt mit Lehrbefugnis für Literaturwissenschaften und Recht. Er hat zahlreiche literarische und fachwissenschaftliche Publikationen in deutscher und slowenischer Sprache verfasst und wurde dafür mehrmals mit Preisen und Auszeichnungen geehrt.

Vor wenigen Tagen ist in der Wiener Edition Atelier seine Forensische Trilogie erschienen, die aus drei Novellen in Briefform besteht.

Am 5. Oktober, um 19.00 Uhr, liest der Autor in der Landhausbuchhandlung in Klagenfurt aus dem neuen Buch.

Hans Haider, geboren 1946, lebt als Publizist in Wien. Theater- und Architekturkritiker der "Wiener Zeitung".