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Der Präsident der Ukraine versucht mit der Freilassung von Kritikern zu punkten.
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Der ukrainische Präsident liebt es offenbar, unberechenbar zu bleiben: Anfang April hatte das Oberste Gericht in Kiew in einem Berufungsurteil das umstrittene Urteil von vier Jahren Haft gegen den inhaftierten Oppositionspolitiker Juri Luzenko noch bestätigt. Am Sonntag zeigte sich Präsident Wiktor Janukowitsch dann großmütig und begnadigte den prominenten Häftling. Der Ex-Innenminister und Mitstreiter der ebenfalls inhaftierten Oppositionschefin Julia Timoschenko war wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs verurteilt worden. Mit Luzenko, dessen Inhaftierung - ebenso wie die von Timoschenko - seitens der EU als ein Beispiel für die "selektive Justiz" in der Ukraine gewertet wird, wurden weitere fünf Oppositionelle, darunter ein ehemaliger Minister, aus der Haft entlassen.
Gänzlich überraschend kam der Schritt nicht: Janukowitsch hatte schon auf dem EU-Ukraine-Gipfel in Brüssel im Februar eine mögliche Begnadigung Luzenkos angedeutet. Der Ankündigung waren dann aber keine entsprechenden Schritte gefolgt. Es war wohl auch der Druck seitens Brüssels, der Janukowitsch jetzt zum Handeln zwang: Am 18. April wird der Abschlussbericht der Ukraine-Beobachtermission des EU-Parlaments erwartet. Bis dato sollen Pat Cox und Aleksander Kwasniewski, die Leiter der Mission, wenig Positives über das ukrainische Justizsystem herausgefunden haben. Mit der Freilassung der Oppositionellen, die von Brüssel stets gefordert wurde, hofft Janukowitsch, in Brüssel zu punkten und doch noch die Weichen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU im Herbst zu stellen.
Das längst schon fertig verhandelte Abkommen würde, wenn es umgesetzt wird, die Weichen stellen für eine dauerhafte Anbindung Kiews an die EU. Der Vertrag würde dem Land aber auch Anpassungsleistungen abverlangen, für die die Ukraine wenig gerüstet ist. Experten verweisen darauf, dass das postsowjetische Land gegenwärtig gar nicht die Verwaltungskapazitäten hat, um das Abkommen umzusetzen. Und ob der politische Wille für einen konsequenten Weg Richtung Demokratie und Rechtsstaat vorhanden ist, darf bezweifelt werden - auch anlässlich der Enthaftung Luzenkos: Der schwer kranke Ex-Innenminister ist keine Gefahr für Präsident Janukowitsch, seine Freilassung politisch risikolos. Im Fall seiner tatsächlichen Rivalin Timoschenko bleibt Janukowitsch weiterhin unnachgiebig.
Dennoch will die EU der Ukraine eine Perspektive bieten - man fürchtet sonst ein erneutes "Abdriften" Kiews Richtung Moskau. Wenn sich auch fast alle politischen Kräfte in Kiew gegen eine enge Anlehnung an Russland aussprechen und auf Unabhängigkeit pochen: Die rund 300 Jahre russischer Vorherrschaft haben ihre Spuren hinterlassen. Es gibt viele verwandtschaftliche Verbindungen, die Wirtschaft ist mit Russland eng vernetzt, die Verkehrsverbindungen sind gut ausgebaut - auch im Vergleich mit denen Richtung Westen: Die Straßen, die die Ukraine mit Polen verbinden, sind schmal, holprig und führen mitten durch kleine Dörfer.