Präsident sitzt fest im Sattel. | Oppositionelle laufen über. | Gerüchte über Zweidrittelmehrheit. | Kiew/Wien. Für Wiktor Janukowitsch scheint dieser Tage die Sonne: Im Liwadija-Palast auf der Krim, Residenz des letzten Zaren und 1945 Tagungsort der Konferenz von Jalta, zelebrierte der Präsident der Ukraine jüngst seinen 60. Geburtstag - im Beisein von Russlands Präsident Dmitri Medwedew und anderer Staatschefs der GUS. | Interview mit dem Politologen Peter W. Schulze über Ukraine und Russland
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Der Jubilar kann zufrieden sein: Wären heute Präsidenten- oder Parlamentswahlen, lägen sowohl Janukowitsch als auch seine Partei der Regionen deutlich in Front. Konkurrentin Julia Timoschenko ist entweder abgetaucht oder wird von der Berichterstattung weitgehend ignoriert, und Ex-Präsident Wiktor Juschtschenko tritt ohnedies kaum mehr in Erscheinung.
Viel schneller und problemloser als von Beobachtern erwartet ist es dem Mann aus dem ostukrainischen Kohlerevier Donbass gelungen, das politisch zutiefst gespaltene Land auf seinen Kurs zu trimmen: Knapp nach Janukowitschs Amtsübernahme ermöglichte eine Verfassungsänderung im März die Bildung einer neuen, präsidentenfreundlichen Parlamentskoalition mithilfe von Überläufern aus dem bisherigen prowestlichen Lager. Damit konnte Janukowitsch seine Vorhaben umsetzen, unter anderem die Wiederherstellung guter Beziehungen mit Russland, die Absage an einen Nato-Beitritt des Landes oder die Aufwertung der russischen Sprache. Der Abschluss des umstrittenen Gas- und Flottenvertrages mit Moskau spülte wieder Geld in die extrem marode Staatskasse, auch die Zusammenarbeit mit dem IWF wurde neu aufgenommen.
Rating erhöht
Dass in der Ukraine Präsident und Premier wieder an einem Strang ziehen, wird offenbar auch von der Wirtschaft honoriert: Die Preise sanken im Juli den dritten Monat in Folge, die Ratingagentur Fitch erhöhte das Rating der Ukraine von "B-minus" auf "B". Dass Janukowitsch im westukrainischen Lemberg bei einem Besuch mit "Verräter"-Rufen empfangen wurde, wird er verschmerzen können - zumal viele Menschen auch im ukrainisch-nationalen Westen nach den Enttäuschungen der letzten Jahre und den leeren Reden über "Ruhm und Ehre" einer ruhigen Entwicklung den Vorzug geben.
Manchen ist es allerdings bereits zu ruhig: Als Janukowitsch im Juni seine ersten hundert Tage als Präsident feierte, erschienen bei der Pressekonferenz Journalisten in weißen T-Shirts mit der Aufschrift "Stoppt Zensur!" Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben wurden Mitte Juli Pläne für ein neues Versammlungsrecht, das die Versammlungsfreiheit deutlich einschränken würde: Derzeit kann eine Demonstration sehr kurzfristig angemeldet werden, nur per Gerichtsentscheid kann man sie verbieten. Der neue Entwurf sieht vor, dass die Anmeldung mindestens vier Tage vorher erfolgen muss - spontane Proteste wären damit illegal. Innerhalb dieser Frist könnte man überdies Verbote durchs Gericht peitschen.
Gesetz per Referendum
Außerdem sieht ein neuer Entwurf vor, Gesetze, auch Verfassungsgesetze, künftig per Referendum ändern zu können. "Das Ganze ist dabei so arrangiert, dass es nur Janukowitschs Partei der Regionen schaffen würde, ein solches Referendum zu initiieren", sagt Kyryl Savin von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew der "Wiener Zeitung". Er spricht von einer "perfekten Grundlage für Manipulationen".
Janukowitsch könnte seine Machtvertikale freilich auch anders sichern: In den letzten Monaten sind immer mehr Abgeordnete aus den Reihen der schwachen Opposition, die um ihr politisches Überleben besorgt sind, zur Regierungskoalition übergelaufen. Schon werden in Kiew Stimmen laut, die davon sprechen, dass Janukowitsch im Herbst der ganz große Coup gelingen könnte: Eine Zweidrittelmehrheit - damit hätte er kein Problem, die Verfassung nach eigenem Gutdünken zu ändern.