Wie an jedem Morgen geht Kazuo Yokota aus dem Haus und schlägt den Weg Richtung Bahnhof in einem Vorort von Tokio ein. In seinem Arm trägt er eine kleine Ledertasche. Mit seinem grauen Anzug und | seiner Krawatte sieht er aus wie all die anderen Tausenden von Angestellten auf ihrem Weg zur Arbeit. Niemand kann wissen, daß er in Wirklichkeit schon längst nicht mehr zu ihnen gehört: Denn Yokota, | 54 Jahre und Vater zweier Kinder, ist seit einem Jahr arbeitslos.
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"Ich schäme mich als Vater, keine Arbeit zu haben", erzählt Yokota in der Zeitung "Mainichi Shimbun", "Ich kann meinen Söhnen nichts davon erzählen, weil ich fürchte, daß sie dann
ihr Studium abbrechen, um Arbeiten zu gehen." Ab 7 Uhr sitzt er dann in einem Schnellimbiß und wartet, bis die Arbeitsvermittlung öffnet.
In Japan trifft dieses Schicksal gerade die älteren Mitarbeiter, die über Jahrzehnte an das Prinzip der lebenslangen Arbeitsplatzgarantie gewöhnt waren, dafür alles für ihre Firma getan · und so
ihrem Land zu einem beispiellosen Wirtschaftsboom verholfen haben. Sie sind jetzt die ersten Opfer der immer härteren Rationalisierungsmaßnahmen. Im April stieg die Arbeitslosenquote unter
Männern auf 5%, den höchsten Stand seit Erfassung dieser Daten 1953. Was die Statistik nicht erfaßt, sind die Folgen auf die konsensbetonte Gesellschaft Japans. Immer mehr Menschen leiden unter
Depressionen oder begehen aus Verzweiflung Selbstmord · sie konnten nicht "ihr Gesicht wahren".
Seit Yokota seiner Frau vom Jobverlust erzählte, arbeitet sie · erstmals seit ihrer Heirat · als Teilzeitkraft. Die gemeinsamen Ersparnisse sind fast alle aufgezehrt. Das Geld für das Studium der
beiden Söhne bringen Verwandte auf. Immer häufiger mache seine Frau ihm Vorhaltungen, erzählt Yokota. Neulich sei sogar von Scheidung die Rede gewesen.