Während die deutsche Regierung die Bewerbung um den Bau des Testreaktors ablehnte und die Grünen gar auf den Rückzug aus der teuren Kernfusions-Forschung drängen, ist Japan umso eifriger um den Zuschlag für ITER bemüht. "Für uns als rohstoffarmes Land hat das Projekt allerhöchste Bedeutung", sagt Satoru Ohtake, Direktor für Fusionsenergie in Japans Wissenschafts- und Technologieministerium.
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Wo sich derzeit unter dem Himmel der nordjapanischen Gemeinde Rokkasho noch grüne Wiesen und Bäume im Wind wiegen, erstreckt sich in der Vorstellung japanischer Atom-Wissenschaftler schon bald das Gelände für eines der größten und ehrgeizigsten Forschungsprojekte der Welt: den geplanten internationalen Kernfusions-Testreaktor ITER.
Bei der Kernfusion wird nach dem Vorbild der Sonne Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Bei der Fusion von einem Gramm Wasserstoff werde so viel Energie frei wie bei der Verbrennung von acht Tonnen Erdöl, erläutert Ohtake. Damit ist die Ausbeute rund vier Mal so hoch wie bei der Spaltung von Urankernen in herkömmlichen Kernkraftwerken. Das Sonnenfeuer zündet allerdings erst bei einer Temperatur von mehreren hundert Millionen Grad Celsius. ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimental-Reaktor) soll als erster Fusionsreaktor netto Energie liefern, also - zumindest kurzzeitig - mehr Leistung freisetzen als hineingepumpt werden muss.
Bereits 1985 hatten die USA und die Sowjetunion eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet beschlossen. Heute sind die USA, Russland, Japan, die EU, China, Kanada und Südkorea an dem Projekt beteiligt. Um den ITER-Standort konkurrieren Kanada, Frankreich, Spanien und Japan. Die Entscheidung darüber soll bis Jahresende fallen. Insgesamt werden die Kosten für das ITER-Projekt auf umgerechnet zehn Milliarden Euro veranschlagt. Davon entfallen auf den zehn Jahre dauernden Bau 3,76 Mrd. Euro. Sollte Japan den Zuschlag erhalten, müsste das Land ein Viertel der Baukosten tragen, den Rest die Partner. Die auf rund 20 Jahre angelegte Betriebsdauer für den Testreaktor verschlingt noch einmal 4,5 Milliarden Euro, zuzüglich der Entwicklungs- und Nebenkosten. Ein erstes Kraftwerk sei dann hoffentlich in 25 bis 35 Jahren zu realisieren, erklärt Ohtake.
Japan rechnet sich gute Chancen aus, den Zuschlag für ITER zu bekommen. Das dafür vorgesehene Gelände in Rokkasho in der nördlichen Provinz Aomori biete beste Voraussetzungen, sagt Toshihide Tsunematsu, für ITER mit zuständiger Direktor am Fusionsforschungsinstitut Naka. Der Bürgermeister des von idyllischer Natur umgebenen Rokkasho, Kenji Furukawa, frohlockt bereits und will sein Dorf zu einem "dynamischen" Standort für internationale Forschung machen. Derzeit befindet sich dort eine umstrittene Wiederaufbereitungsanlage für Atombrennstäbe im Bau.
Auch in anderer Hinsicht bietet Japan gute Bedingungen für das Projekt. Anders als Deutschland setzt die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt wesentlich mehr Hoffnungen in die Kerntechnik. Japan verfügt über 52 Atommeiler, die ein Drittel des Stroms liefern. Ein Skandal um die Vertuschung von Reparaturen in Meilern des größten Atombetreibers des Landes, TEPCO, sowie der schwerste Atomunfall in der Geschichte Japans in einer Uranverarbeitungsanlage in Tokaimura mit zwei Toten 1999 haben jedoch das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit der atomaren Anlagen schwer erschüttert.
Eine Alternative soll in Zukunft die Kernfusion bieten. "Fusionsenergie ist eine umweltfreundliche Energiequelle des 21. Jahrhunderts", zeigt sich Ohtake überzeugt. Außerdem sei sie deutlich sicherer als die Kernspaltung. Zwar falle auch dabei schwach radioaktiver Müll an, der jedoch leicht zu beseitigen sei. In Rokkasho lagert bereits schwach strahlender Müll - versiegelt und vergraben in der grünen Natur.