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Japan stellt Politik der Abschottung in Frage

Von WZ-Korrespondentin Susanne Steffen

Politik
Bauarbeiter in Tokio: In Japan leben nur rund 2 Prozent Ausländer, die Industrie klagt über Arbeitskräfte-Mangel.
© corbis

Der massive Arbeitskräftemangel zwingt die Regierung zum Umdenken.


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Tokio. Die 26-jährige Anna Kristina aus Indonesien strahlt in die Kameras der japanischen Reporter. Sie ist eine kleine Sensation, denn sie gehört zu den knapp 10 Prozent der ausländischen Bewerber, die im vergangenen Jahr die staatliche japanische Krankenschwesterprüfung bestanden haben. Mit dem Zertifikat in der Hand darf sie endlich als Krankenschwester in Japan arbeiten und dazu beitragen, den akuten Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen zu lindern. Doch sie bleibt eine Ausnahme.

Ausländer sind nicht erwünscht

"Das Programm ist ein völliger Fehlschlag", schimpft Hidenori Sakanaka, der Leiter des Japan Immigration Policy Institute. Die Prüfung sei viel zu selektiv. Außerdem sei der zaghafte japanische Lockruf für viele südostasiatische Krankenpfleger nicht attraktiv, kritisieren Experten im In- und Ausland. Angesichts der Unsicherheiten, die in Japan auf sie warteten, wählten viele lieber eine Karriere in klassischen Einwanderungsländern mit klarer Perspektive. "Man bekommt das Gefühl, als wolle die japanische Regierung ohnehin eigentlich lieber keine ausländischen Krankenschwestern", sagt Sakanaka, der sich 35 Jahre lang im Justizministerium mit Einwanderungsfragen befasst hat.

Seit fast zehn Jahren schrumpft die Bevölkerung. Bereits heute ist fast ein Viertel aller Japaner im Rentenalter. Bis 2055 werden es 40 Prozent sein. In zehn Jahren werden etwas weniger als zwei Menschen im erwerbsfähigen Alter einen Rentner mitfinanzieren müssen. Laut einer Schätzung der Vereinten Nationen müsste Japan 650.000 Ausländer pro Jahr aufnehmen, um den demografischen Wandel wettzumachen.

In einigen Branchen herrscht bereits jetzt akuter Arbeitskräftemangel. Nirgendwo macht sich der demografische Wandel so deutlich bemerkbar wie im Gesundheits- und Pflegesektor. Während immer mehr Menschen diese Dienste in Anspruch nehmen müssen, gibt es immer weniger Personal. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums fehlen Japan momentan rund 40.000 Krankenschwestern. Im Pflegebereich sieht es noch schlimmer aus: In etwa zehn Jahren werden dort eine Million Stellen unbesetzt bleiben, schätzt Sakanakas Institut.

Als Lösung für den Notstand im Gesundheits- und Pflegebereich sieht das Gesundheitsministerium das Programm ohnehin nicht. Noch setzt die Regierung darauf, die mehr als eine halbe Million lizenzierten japanischen Krankenschwestern und Pflegekräfte zurückzulocken, die ihre Stelle unter anderem wegen der schlechten Bezahlung aufgegeben haben. Doch angesichts der explodierenden Gesundheitskosten kann sich Japan höhere Löhne nicht leisten.

Olympia wird

zum Problem

Auch die Bauindustrie klagt über Personalmangel. Denn wie immer, wenn die Regierung die Konjunktur ankurbeln will, löst sie auch jetzt wieder mit öffentlichen Investitionen einen Bauboom aus. Mittlerweile warnen erste Experten, das Land werde den Bauboom für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio nicht meistern können, wenn es seinen Arbeitsmarkt nicht weiter öffnet.

Ende Januar hat die Regierung bekanntgegeben, dass sie erwägt, das sogenannte Trainee-Programm auszubauen. Gegenwärtig können Ausländer drei Jahre lang als so genannte technische Trainees in japanischen Unternehmen lernen. Momentan arbeiten etwa 150.000 Chinesen und Südostasiaten hauptsächlich in der Bau-, Textil- und Maschinenbauindustrie. Den neuesten japanischen Medienberichten zufolge will Ministerpräsident Shinzo Abe im kommenden Juni eine größere Zuwanderung ausländischer Trainees in seine Wachstumsstrategie aufnehmen. Geplant ist eine Ausweitung des Programms auf neue Branchen, u. a. auch auf den Pflegesektor, sowie eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer.