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Japan und die kurze Halbwertszeit

Von Barbara Ottawa

Wirtschaft

Lieferprobleme fallen nur kurzzeitig ins Gewicht. | Erneuerbare Energien werden erst langfristig eine Rolle spielen. | Tokio. Das Problem ist, dass eigentlich noch immer niemand so genau weiß, wie groß der Schaden tatsächlich ist. Dennoch zeigen sich die meisten Analysten vorsichtig optimistisch, dass sich die Auswirkungen der Dreifach-Katastrophe in Japan - Erdbeben, Tsunami, Reaktorunglück - auf die Weltwirtschaft in Grenzen halten werden.


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Die Ereignisse hätten ein "fantastisches" Aktienjahr 2011 zu einem "guten" herabgestuft, sagt etwa das nordische Investmenthaus Skandia. Und Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt bei der Bank Austria, meint, dass die Katastrophen zwar "auf der Mikroebene stressen, aber auf der Makroebene ein Non-Event" sind. Das heißt mit anderen Worten: Kurzfristig schlecht, langfristig zu vernachlässigen.

Wirtschaftsweltmacht ohne wahres Wachstum

Als drittgrößte Wirtschaftsnation macht Japan zwar 8,7 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, es trägt aber mit "nur" fünf Prozentpunkten direkt zum globalen Wachstum bei. Zum Vergleich: China trägt mehr als 20 Prozentpunkte bei. Zwar kann es über die nächsten Monate noch zu Engpässen bei Lieferungen kommen, vor allem elektronische Bausteine wie Halbleiter für die Automobilindustrie oder LCD-Displays für Smartphones kommen aus der betroffenen Region, aber einige Werke haben ihre Produktion bereits an andere Standorte oder ins Ausland verlegt.

Größere Probleme bleiben die Stromversorgung und natürlich die Unsicherheit über Nachbeben und Folgeschäden des Atomunglücks. "Naturkatastrophen führen gewöhnlich dazu, dass die Wachstumsprognosen noch im selben Jahr nach oben angepasst werden, denn der Wiederaufbau kurbelt die Wirtschaft an", so ING Investment. "An der Ostküste Japans hemmen die zeitweiligen Stromsperren jedoch die Wirtschaftstätigkeit; daher haben wir unsere Prognose für 2011 gesenkt, aber die für 2012 erhöht."

Das niederländische Investmenthaus liegt mit seiner vor zwei Wochen getätigten Prognose über 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum im heurigen Jahr nur knapp über jener der OECD, die am Donnerstag ihren Ausblick für den Inselstaat auf 0,8 Prozent gesenkt hatte.

Sowohl die OECD als auch ING gehen 2012 von einem starken Wachstum von 2,3 Prozent aus, was über den Vor-Beben-Annahmen von rund 2 Prozent liegt - aber nur, wenn nichts mehr passiert.

So warnt die japanische T&D Asset Management, dass es über die nächsten Monate noch zu starken Schwankungen an der Börse Tokio kommen werde. Aber bis Jahresende könnte der Nikkei 15 Prozent insgesamt gewinnen, trotz Einbrüchen von 10 Prozent und mehr über die vergangenen Wochen. Ein wichtiger Wirtschaftstreiber ist dabei neben dem Wiederaufbau der Yen, der dank koordinierter Maßnahmen der G7-Staaten stabil niedrig gehalten wurde und Exporte erleichtern wird.

Ein Vergleich mit dem Erdbeben von Kobe im Jahr 1995 und den wirtschaftlichen Folgen sei nur bedingt möglich, gibt die liechtensteinische LGT Capital Management zu bedenken. Damals sei Japan noch viel abgekapselter gewesen mit einer stärkeren Wirtschaft.

In der Zwischenzeit ist Japans BIP geschrumpft und entspricht nun nicht mehr 71 Prozent der Größe jenes der USA, sondern nur noch 34 Prozent. Jetzt, bei einer größeren Katastrophe und einer stärkeren internationalen Abhängigkeit, rechnet die LGT damit, dass Japan starke wirtschaftspolitische Impulse setzen wird.

Des Atomes Kern - der hohe Rohstoffbedarf

Für die wirtschaftliche Erholung wird Japan Rohstoffe brauchen, vor allem auch weil dem Beben eine jahrelange Deflation und wirtschaftliche Stagnation vorangegangen waren, die zu einem deutlichen Rückgang der Lagerbestände der Industrie geführt haben.

Das wird international die Rohstoffpreise weiter treiben - und die Anti-Atom-Debatten kommen im Moment Gas- und Öl-Firmen zugute, denn alternative Energien werden erst auf lange Sicht echte Alternativen für die Stromgewinnung sein können.

Aber einige Investmenthäuser sehen bereits verstärkte Nachfrage nach Solar-Investitionen, Windpark-Beteiligungen und Ähnlichem. Die Technologien werden als Stromlieferanten der Zukunft gehandelt. Aber wie bei allen Analystenmeinungen ist zu beachten, dass diese auch Investmentthemen erst kreieren können. Im Moment lautet die Devise eher: "Licht aus." Denn rund 40 Prozent des weltweiten Energiebedarfs werden von Gebäuden "gefressen".