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Japanischer All-in-Poker

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Yen-Schwäche hilft Exporteuren - Sorge um Folgen für Staatsschuldenberg.


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Tokio. Japan geht, wie es im Poker heißt, all-in und setzt alles auf eine Karte. Die Asiaten haben das wohl größte Finanzexperiment aller Zeiten lanciert und verdoppelt binnen weniger Jahre die Yen-Geldmenge. Das soll die Wirtschaft aus fast zwei Jahrzehnten Stagnation führen und die fallenden Preise bekämpfen. Frühere Regierungen hatten das zuvor mit ähnlichen Mitteln versucht - allerdings ohne Erfolg: Zuverlässig gestiegen sind nur die Staatsschulden. Unter Premier Shinzo Abe wird nun die Dosis gewaltig erhöht. Wie dieses Experiment, das in Fachkreisen "Abenomics" genannt wird, ausgeht? Seriös kann das niemand vorhersagen.

Zumindest die kurzfristigen Folgen stimmen positiv: Dass Japan im Kampf gegen die Deflation alle Geldschleusen aufreißt, ließ den Kurs der Landeswährung am Freitag massiv absacken. Für einen Dollar gab es erstmals wieder mehr als 100 Yen - diese Marke war zuletzt vor gut vier Jahren durchbrochen worden. Zum Euro ist der Yen seit Sommer 2012 um mehr als 30 Prozent abgerutscht.

Die Börsen jubeln: Der Nikkei-Index hat seit Mitte November 2012 um 62 Prozent zugelegt. Besonders exportstarke Firmen profitieren von der Yen-Schwäche: Nissan bescherte sie im vierten Quartal einen Gewinnanstieg um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und 3,21 Milliarden Euro Nettogewinn im Gesamtjahr. Und die Nikon-Aktie lag am Freitag nach einem positiven Ausblick 15 Prozent im Plus.

Hat Japan ein Allheilmittel für Wachstum entdeckt? Nein. US-Finanzminister Jacob Lew stellte im Gespräch mit CNBC klar, dass die USA ein Auge auf Japan haben. Die mächtigsten Wirtschaftsforen (G7 und G20) hätten klare Trennlinien gezogen: Für die Bekämpfung nationaler Wachstumsschwächen sei die Geldpolitik okay. Für Maßnahmen, die nur den Yen-Kurs drücken sollen, gebe es keine Akzeptanz. Mit anderen Worten: Ein Währungskrieg würde nicht hingenommen.

Obendrein können gar nicht alle Wirtschaftsblöcke zur gleichen Zeit ihre Währung schwächen - sonst würden die Kurse erst recht im Gleichschritt marschieren. Das zweite, potenziell bedrohlichere Problem: Der Yen-Kursverfall kam laut Experten zustande, weil Investoren auf der Suche nach höheren Erträgen von den japanischen Staatsanleihen auf andere, ausländische Papiere auswichen.

Steigende Anleihenrenditen

Das ließ die konstant niedrigen Zinsen für Japans Staatspapiere kräftig ansteigen. Für zehnjährige Schuldtitel machten diese einen Ein-Tages-Kurssprung wie seit fünf Jahren nicht mehr. Das nährt Sorgen über die Staatsfinanzen. Japan hält in Sachen Verschuldung den Weltrekord - mit 230 Prozent der Wirtschaftsleistung. Günstig verschulden konnte man sich bisher trotz Schuldenbürde nur, weil die Papiere fast zur Gänze von Japanern gekauft wurden. Auf ausländische Investoren war man kaum angewiesen. Nun aber sagen manche Experten eine Flucht aus Yen-Anleihen vorher. Rechnen Anleger nämlich mit höherer Inflation (die Japan bewusst anpeilt), dann fordern sie höhere Zinsen für Staatsanleihen. Andernfalls würden sie Geld verlieren. Angesichts des gewaltigen Schuldenberges könnten aber steigende Zinsen Japan an den Rand der Pleite bringen.

Optimisten würden kontern, dass Japan die Schulden begleicht, indem es noch mehr Geld druckt. Die Zeche würden die Investoren zahlen. Manövriert sich Japan nach Jahrzehnten der Deflation in eine Inflationsspirale oder einen Anleihen-Boykott? Momentan gibt es dafür keine Anzeichen. Auszuschließen ist es nicht.