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Japans enttäuschte Generation

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik

Liberaldemokraten kehren mit überlegenem Sieg an die Macht zurück.


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Tokio. Die junge Frau am Nebentisch trug große Kopfhörer, das Handy war wichtiger als das auskühlende Essen vor ihr, die Welt war ausgeblendet. Doch angesprochen auf die Parlamentswahlen in Japan am Vorabend, die mit einem überraschend klaren Sieg der rechts-konservativen Liberaldemokraten (LDP) unter Parteichef Shinzo Abe endeten, sprudelte es geradezu aus ihr heraus - als würde sie sich freuen, dass ihre Meinung als junger Mensch auch einmal gefragt ist: "Das Ergebnis ist unmöglich. Die Politiker schwingen nur große Reden, aber es bleibt doch alles beim Alten." Die 20-Jährige besucht eine Hotelfachschule in Tokio und hätte zum ersten Mal in ihrem Leben zur Wahl gehen können. Doch sie fühlte sich nicht von den "alten Opas" in der Politik angesprochen. Von ihren Altersgenossen wählten nur wenige, in ihrer Generation gebe es kein Bewusstsein für Politik. "Wir können sowieso nichts ausrichten."

Meinungen wie diese spiegelte auch das Durchschnittsalter der Wähler wider: Mit 57 Jahren rückte es knapp an die Pensionsgrenze von 60 Jahren. Mit 59,32 Prozent verzeichnete die erste Wahl nach dem Fukushima-Desaster im März 2011 zudem die niedrigste Wahlbeteiligung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das sind rund zehn Prozent weniger als bei der Wahl 2009. Damals gewannen die Demokraten, die dieses Mal die großen Verlierer sind, haushoch gegen die LDP.

Bereits im Vorfeld hatten Experten eine niedrige Wahlbeteiligung erwartet. Zum einen falle sie im Winter schwächer aus. Doch bei warmen 15 Grad im Großraum Tokio, in dem ein Viertel der Japaner leben, konnte diese Ausrede nicht gelten. Die Hauptursache war die unübersichtliche Parteienlandschaft. Denn dieses Mal gingen mehrere Neuzugänge ins Rennen, die erst im Sommer gegründet worden waren. Aus wahltaktischen Gründen formierten sie sich noch mehrfach um - was die Wähler verwirrte wie ärgerte.

Lange unentschlossen, raffte sich ein Radiomacher in seinen Fünfzigern erst spät am Tag zur Wahl auf, schrieb er auf Facebook. Er war nicht der Einzige: Um 18 Uhr, zwei Stunden vor Ende, lag die Beteiligung erst bei rund 40 Prozent. Einige gaben aus Protest ihre Wahlzettel gleich leer ab.

Den größten Erfolg der "neuen Dritten" heimste die nationalistische Japan Restoration Party ein. Sie erreichte mit 54 Sitzen nur drei weniger als die bisherige Regierungspartei DPJ. 325 von insgesamt 480 Sitzen erhielt die Allianz von LDP und New Komeito, und damit mehr als zwei Drittel der Sitze. Dadurch endet eine Zeit der gegenseitigen Blockade der beiden Großparteien, die lange Japans Politik dominierte. Die Zeitung "Yomiuri" schrieb noch am Vortag in ihrem Leitartikel: Nach den vielen Wahlen 2012 rund um die Welt "dürfen wir nicht erlauben, dass nur Japan wegen des Klimas der politischen Entscheidungslosigkeit in unserer Nation zurückfällt".

Abe will Beziehungen zu den USA stärken

Am 26. Dezember wird Abe in einer außergewöhnlichen Parlamentssitzung zum Premierminister gewählt werden. Der 58-Jährige bekommt einen Vertrauensvorschuss auf Zeit. Selbst den Gewinnern ist bewusst, dass sie nicht über Nacht beliebt wurden. Viele Wähler wollten schlicht die DPJ und Premier Yoshihiko Noda strafen, der bereits den Parteivorsitz abgegeben hat.

Im Sommer 2013 finden dann in Japan Oberhauswahlen statt. Dort hat keine Partei eine eindeutige Mehrheit. Sollte Abe bis dahin keine Erfolge vorweisen, könnte das das Ende der LDP sein, sagte ein Moderator des Senders NHK. Seit ihrer Gründung 1955 regierte sie über 50 Jahre.

Abe gibt sich engagiert: "Wir können heute oder morgen keine Resultate vorlegen, aber wir werden schnell handeln", sagte er in seiner ersten Pressekonferenz. Er muss sich beweisen. Denn der Enkel eines Premierministers stand 2006 schon einmal an der Landesspitze. Damals trat er schon nach einem Jahr, sein Kabinett von Skandalen geschüttelt, angeblich wegen gesundheitlicher Probleme abrupt zurück.

Dieses Mal soll es kein "Kabinett der Freunde" mehr geben, sondern mehr Balance. Nun will Abe nicht wie in seiner ersten Amtszeit zuerst nach China reisen, sondern in die USA: "Mein Ziel ist es, die Allianz zwischen den USA und Japan und Japans diplomatische Fähigkeiten wiederherzustellen." Letztere wird er vor allem im Umgang mit China in der Krise um eine Inselgruppe brauchen, die beide Länder beanspruchen. Der nationalistische Abe ist als Hardliner bekannt. Um Japans Großmachtanspruch zu untermauern, will er die pazifistische Verfassung ändern, um aus Japans "Selbstverteidigungskräften" ein Militär zu machen.

Doch die meisten Japaner interessiert mehr, wie er der in die Rezession gerutschten Wirtschaft helfen will. Vehement spricht er sich für eine Lockerung der Geldpolitik der Zentralbank aus. Er wolle die Deflation bekämpfen und den die Exporte beeinträchtigenden starken Yen weiter schwächen. Außerdem kündigte er höhere Regierungsausgaben an. Allerdings beträgt die Staatsverschuldung schon jetzt über 230 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Es ist ein schweres Erbe für die jüngere Generationen in Japan, deren Anteil im überalternden Land schrumpft. Eine von ihnen, die Autorin Yuki Murata, schreibt: "Die meisten meiner Freunde reden über die Wahlen im Internet. Wir können das Ergebnis nicht glauben. Es gibt eine große Lücke zwischen uns und den anderen."