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Das schlingernde Staatsschiff Japan sucht einen neuen Kapitän. Am 24. April wollen die regierenden Liberaldemokraten (LDP) einen neuen Parteichef und damit de facto auch einen neuen Regierungschef wählen. Der glücklose und äußerst unbeliebte Yoshiro Mori muss dann seinen Hut nehmen.
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Am Freitag stellte sich der Noch-Regierungschef nolens volens hinter den Entschluss seiner mächtigen Partei. "Ich denke, es ist notwendig, mit einer neuen Regierung das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik wieder herzustellen", ließ er über seinen Kabinettssekretär mitteilen. Sein Nachfolger könnte schon am 26. April das neue Kabinett vorstellen.
Seit der 63-jährige Mori vor einem Jahr zum Nachfolger des verstorbenen Keizo Obuchi gekürt wurde, vollzog sich in Japan ein dramatischer Vertrauensverlust in die politische Führung. Der Börsenindex Nikkei stürzte seither um rund 7000 Punkte ab; die Wirtschaft steht erneut am Rand einer Rezession.
Schuld an der politischen wie wirtschaftlichen Stagnation trägt Mori kaum allein, sondern mit ihm seine seit 1955 fast ununterbrochen regierende LDP. Statt energisch Reformen anzupacken, versorgte die Partei in erster Linie ihre traditionelle Wählerklientel auf dem Lande und in der Bauindustrie mit milliardenschweren Staatsaufträgen. Hunderte Milliarden wurden so in den vergangenen zehn Jahren in unproduktive Infrastrukturprojekte gepumpt. Die Folge: Japan hat heute die höchste Staatsverschuldung unter den Industriestaaten. Um die Talfahrt einzubremsen, präsentierte die Regierung Ende der Vorwoche nach zähem Ringen und mit zweitätigiger Verspätung ein dürtiges Notprogramm zur Stabilisierung des Bankensystems und Stützung des Aktienmarktes.
Die LDP-"Barone" scheinen sich bewusst, dass die Partei in ihrem desolaten Zustand bei den Oberhauswahlen im Juli einer verheerenden Niederlage zusteuert. Deswegen wollen sie den unpopulären Mori, dessen Neuwahl turnusgemäß erst ende September fällig gewesen wäre, jetzt schon loswerden, nachdem er sich und seine Regierung mit verbalen Entgleisungen und politischen Schnitzern um Kopf und Kragen geredet hatte. Noch ist kein Nachfolgekandidat bestimmt, doch in der Tokioter Parteizentrale schwirrt unüberhörbar der Name Ryutaro Hashimoto herum, seines Zeichens Ex-Regierungschef, der nach dem miserablen Abschneiden der LDP bei den Oberhauswahlen 1998 zurücktreten musste.
Alles, nur keine Frau
Könnten die Wähler über den LDP-Vorsitz bestimmen, so würden sie einer Umfrage nach für die scharfzüngige Makiko Tanaka, Tochter des legendären Ex-Regierungschefs Kakuei Tanaka, stimmen. Doch eine Frau an so hoher Stelle - das wäre wohl selbst den liberalsten Liberalen zuviel. Aber immerhin schaffte es kürzlich eine Parteilose, in der LDP-Hochburg Chiba zur Gouverneurin gewählt zu werden.
Mit einem bloßen Auswechseln von Köpfen sei es diesmal nicht getan, sind sich Kommentatoren einig. Was Japan angesichts der schweren Krise jetzt dringend brauche, sei endlich eine starke Führungspersönlichkeit. Doch die lässt sich nicht so schnell aus dem Hut zaubern.
Schleudersitz
Auch der 63-jährige Hashimoto als Repräsentant des stärksten Flügels innerhalb der zerstrittenen Partei, gilt letztlich als Notlösung. Ihm haftet seit dem Wahldebakel vor drei Jahren der Nimbus des Verlierers an. Grund für die Niederlage war, dass er zwecks Sanierung der Staatsfinanzen die Verbrauchssteuer angehoben und damit den Konsum und als Folge die Wirtschaft in die Knie gezwungen hatte. Auf der Plusseite steht sein Einsatz für eine Deregulierung des angeschlagenen Finanzsystems.
Wer immer in zwei Wochen dass Zepter übernehmen wird, eine lange Amtsperiode dürfte dem neuen Ministerpräsidenten ohnehin nicht vergönnt sein. Denn sollte die erwartete Wahlniederlage für die seit 1955 ohne Unterbrechung regierenden LDP allzu drastisch ausfallen, könnte dieser gezwungen sein, seinen Kopf hinzuhalten. Hashimoto hatte sich noch vor drei Monaten zufrieden gezeigt, nicht mehr auf dem Schleudersitz des Partei- und Regierungschefs zu sitzen. Genau dort könnte er sich nun bald wiederfinden.