"Wie hältst du es denn mit den Staatsschulden?" So lautet die Gretchenfrage für den neuen japanischen Regierungschef Naoto Kan. Die öffentliche Hand in Japan stand Ende März mit umgerechnet acht Billionen Euro in der Kreide - pro Kopf ist das zweieinhalb Mal so viel wie in Österreich. Neue Kredite finanzieren die Hälfte des Etats. Das Ausland fordert Japan immer lauter zum Handeln auf, weil ein Anleihen-Beben in Tokio die Weltwirtschaft schwer erschüttern würde.
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"Meine wichtigste Aufgabe als Premierminister ist die Wiederherstellung von Japan", kündigte Kan nach seiner Wahl noch etwas nebulös an. Zuvor hatte er davor gewarnt, dass Japans Finanzen nicht über Nacht gesunden könnten. "Aber ich will zumindest den Trend korrigieren, dass die öffentlichen Schulden endlos steigen", versprach er. Noch im Juni will der bisherige Finanzminister eine Strategie für ein Wirtschaftswachstum von jährlich drei Prozent, Eckpunkte einer Steuerreform und Zielvorgaben für den Schuldenabbau verkünden.
Weniger in dieses Bild passt, dass Kan die Politik seines Vorgängers Yukio Hatoyama fortsetzen will. Neben der Beschneidung der Beamtenmacht und einer größeren Unabhängigkeit von den USA in der Außenpolitik gehören dazu auch höhere Sozialausgaben im Land.
Der Physiker und Patentanwalt Kan versteht allerdings wenig von Ökonomie. Beamte im Finanzministerium lobten aber seine Bereitschaft zum Zuhören und Lernen. Im Parlament und in Sitzungen nickt Kan jedoch gerne einmal ein. Trotzdem gilt der Mitbegründer der Demokratischen Partei (DPJ) als zupackend und respektlos. Als Gesundheitsminister klärte er einen Aids-Skandal auf, in den auch seine eigenen Leute verwickelt waren. "Beamte haben zwar gute Schulnoten, sind aber dumm", polterte er einmal lautstark.
Selbstironischer"genervter Kan"
Selbstironisch hat er seinen Spitznamen "Ira Kan" ("genervter Kan") auf die eigene Visitenkarte gedruckt: "Bin ich wirklich so?", steht dort. Seine Ehefrau Nobuko wird Japans Hillary genannt, weil sie oft mit ihm schimpft und doch für ihn Wahlkampf macht. Als erster Regierungschef seit neun Jahren stammt Kan nicht aus einer der Polit-
Dynastien, die das Parlament in Tokio beherrschen. Doch auf den Schild gehoben wurde er vor allem, weil er bei Parteispenden eine blütenweiße Weste hat.
Der "saubere" Kan soll den Bruch der Demokratischen Partei (DPJ) mit der Korruptionstradition der japanischen Politik illustrieren und dadurch den Ärger der Wähler über die Spendenskandale von Kans Vorgänger Hatoyama und dessen mächtigem Generalsekretär Ichiro Ozawa mildern. So will die DPJ die zu erwartende Niederlage bei der Oberhauswahl in fünf Wochen begrenzen.