Tokio - Gerade einmal ein halbes Jahr nach seiner Wahl zum japanischen Ministerpräsidenten wackelt Yoshiro Moris Stuhl derart, dass seine Gegner schon in Kürze fest mit seinem Sturz rechnen. Für heute hat die Opposition einen Misstrauensantrag angekündigt. Und Unterstützung dafür kommt auch aus Moris regierender Partei der Liberaldemokraten (LDP), in der ein offener Machtkampf ausgebrochen ist.
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Koichi Kato heißt der Mann, der den seit Jahrzehnten gehüteten Konsens der LDP aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Der Chef der zweitgrößten Gruppierung innerhalb der LDP will Mori für mehr ökonomische Reformen aus dem Weg räumen und hat selbst Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs. Die Chancen, von seiner Partei zum nächsten Ministerpräsidenten Japans auserkoren zu werden, dürfte er mit seinem direkten Angriff auf Mori allerdings verspielt haben. Generalsekretär Hiromu Nonaka hat bereits klar gemacht, dass den Abweichlern ein Ausschluss aus der LDP droht.
Dass er den Misstrauensantrag stützen wird, begründet Kato auch mit dem miserablen Ansehen von Mori und dessen Kabinett bei den Japanern. Umfragen zufolge stehen nicht einmal 20 Prozent der Bürger hinter ihrem Premier. Mori sei vor den Oberhauswahlen im nächsten Jahr untragbar, bringen die Kritiker in den eigenen Reihen vor.
Tatsächlich hat der Ministerpräsident seit dem Amtsantritt im April kaum einen Fettnapf ausgelassen: Er schwärmte von einem "göttlichen Japan" und erinnerte so an den Militarismus vor dem Zweiten Weltkrieg, setzte sich in der Koreapolitik in die Nesseln und ließ im Laufe der Monate noch so manche unbedachte Bemerkung fallen.
Kato und sein Mitrebell Taku Yamasaki geben sich siegessicher. "Ich bin 100 Prozent zuversichtlich, dass wir die Schlacht gewinnen", erklärte Kato laut "Japan Times" drei Tage vor der geplanten Abstimmung im Tokioter Parlament. Mori hingegen zeigt Schwäche. Er appellierte an seine Koalitionspartner, die Neue Komeito und die Neue Konservative Partei, ihn nicht fallen zu lassen und gestand ein, er fühle "sich irgendwie hilflos".
Die Koalition errang bei der Wahl Ende Juni 271 der 480 Parlamentssitze. Zu den Gruppen der Abweichler gehören 64 Abgeordnete. Es ist aber noch unklar, ob sich bei der Abstimmung alle gegen Mori stellen werden.
Geht der Misstrauensantrag durch, muss entweder das Kabinett zurücktreten, oder Mori muss das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Aber selbst wenn Mori die angekündigte Abstimmung gewinnen würde, hätte er das Machtgerangel in der LDP noch lange nicht für sich entschieden. Auch dann müsse der Premier seinen Platz räumen, fordert etwa die größte LDP-Gruppierung um den früheren Ministerpräsidenten Ryutaro Hashimoto laut der Zeitung "Asahi". Mit der Opferung Moris könnte vielleicht der drohende Zerfall der Partei noch aufgefangen werden. Immerhin handelt es sich nach Einschätzung von Beobachtern um die schwerste Krise seit 1993. Nach einer Spaltung hatte die LDP damals bei Neuwahlen ihren Platz an der Macht eingebüßt.
Die Medien bringen bereits den Außenminister Yohei Kono und den früheren Gesundheitsminister Junichiro Koizumi als mögliche Nachfolger ins Spiel.