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Seit der Machtübernahme erster Stimmungstest. | Regierungsfähigkeit der Mitte-Links- Koalition in Gefahr. | Tokio. Japans Mitte-Links-Koalition droht bei der Wahl am Sonntag ein Verlust ihrer Mehrheit im Oberhaus. Das würde es dem neuen Premierminister Naoto Kan mächtig erschweren, seine Reformpläne für Steuern, Schulden und Wachstum zu verwirklichen.
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Von den 242 Sitzen in der zweiten Parlamentskammer wird die Hälfte neu vergeben. Kan hat für seine Demokratische Partei (DPJ) das Ziel ausgegeben, ihre jetzigen 54 Mandate zu behalten. Doch laut den jüngsten Umfragen könnten es weniger als 50 werden. In diesem Fall müsste sich Kan neue Partner suchen, weil seine Koalition im Unterhaus keine Zweidrittelmehrheit hat, um vom Oberhaus abgelehnte Gesetze durchzusetzen. "Wollen Sie Stabilität oder Verwirrung in der Politik?", fragte der Regierungschef deshalb die Bürger im Wahlkampf immer wieder. Eine geteilte Macht sei nicht gut für Japan.
Für die DPJ ist die Wahl der erste Stimmungstest seit der Machtübernahme im September von der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die jahrzehntelang die Politik bestimmt hatte. Die DPJ will ihren Kampf gegen staatliche Verschwendung fortsetzen und den Wohlfahrtsstaat ausbauen. Im April hatte sie ein Kindergeld von umgerechnet 120 Euro monatlich eingeführt. Investitionen in Umwelt, Tourismus und Gesundheit sollen fünf Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Kan verspricht einen "dritten Weg" zwischen Marktfundamentalismus und Staatssubventionen und orientiert sich dabei am skandinavischen Wirtschaftsmodell.
Doch der Wahlkampf drehte sich um die Verdoppelung der Mehrwertsteuer von fünf auf zehn Prozent. Dadurch wollen sowohl DPJ wie auch LDP die Neuverschuldung von aktuell fast 400 Milliarden Euro begrenzen und die steigenden Sozialausgaben der rasch alternden Gesellschaft finanzieren. Angesichts von über neun Billionen Euro öffentlichen Schulden warnte Regierungschef Kan vor griechischen Verhältnissen. Wenn die Staatsfinanzen zusammenbrechen, funktionierten auch die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr, erklärte Kan.
Weil sich die großen Parteien über die Steuererhöhung einig sind, zeichnen sich Gewinne für kleinere Gruppen ab, darunter die buddhistische "Neue Komeito" sowie die LDP-Abspaltung "Ihre Partei". Die "Neue Komeito" plädiert für eine umfassende Steuerreform, "Ihre Partei" will lieber die Staatsausgaben kürzen. Umfragen zufolge lehnt knapp die Hälfte der Wähler eine höhere Mehrwertsteuer ab.
Kan ist daher inzwischen zurückgerudert: Die Anhebung werde erst in zwei, drei Jahren kommen, außerdem versprach er einen Ausgleich für Geringverdiener.
Viele Wähler dürften der DPJ trotzdem einen Denkzettel verpassen, weil sie von deren Regierungsleistung enttäuscht sind. Anfang Juni war Yukio Hatoyama als Premierminister zurückgetreten. Er hatte so viele seiner Versprechen gebrochen, dass ihm kaum noch jemand zugehört hatte. Insbesondere verärgerte er die Menschen auf Okinawa, als er damit scheiterte, eine US-Militärbasis außerhalb der Insel zu verlegen. Auf Okinawa hat die DPJ deshalb keinen einzigen Kandidaten aufgestellt oder unterstützt.