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Jazz als Klassik unserer Tage

Von Gerald Schmickl

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Es sei seines Wissens - und wir wollen und können ihm da gar nicht widersprechen - das erste Mal, dass Joe Zawinuls "Mercy, mercy, mercy" im Ö1-"Pasticcio" gespielt worden sei, erklärte Moderator Albert Hosp am Donnerstagmorgen, als der Welthit des Österreichers gerade verklungen war. Es war aber sicher nicht das erste Mal, dass Jazz in der Sendung vorkam. Immer öfter schiebt sich das eine oder andere jazzige Traditional zwischen Händel, Mozart und Strawinsky. Es ist symptomatisch für die Entwicklung des Jazz zur Bildungsmusik, zur Klassik unserer Tage. Deshalb kommt Jazz im Radio praktisch nur mehr auf Österreich1 vor, wie etwa in der "Ö1-Jazznacht" oder unter dem hehren Titel "Aus dem Konzertsaal - Jazz". Die Zeiten, als Jazz noch auf Ö3 erklang, sind lange vorbei. Und selbst damals schon war das legendäre "VII" ("Vokal-Instrumental-International") des Walter Richard Langer ein seltsamer Klangfremdkörper im Hitsender.

Während also der Jazz, der in seiner Substanz und Eigenständigkeit ein wenig ausgezehrt wirkt, auf der einen Seite zur klassischen E-Musik tendiert, muss er sich auf der anderen dem Popgeschäft annähern, um vor einem größeren Publikum überhaupt noch vorzukommen. Deswegen treten bei den Jazzfestivals heutzutage hauptsächlich ältere Rock-Heroen wie Patti Smith, Van Morrison oder Neil Young auf - auf ihre Weise auch Klassiker. Seine soziale Funktion, etwa als Sprachrohr und Ausdruckskunst der Schwarzen, hat der Jazz ebenfalls eingebüßt. Diese Aufgabe haben längst Rap und Hip-Hop übernommen. Darauf werden wir freilich noch lange warten müssen, dass im "Pasticcio" eine Hip-Hop-Nummer für erregte Wachheit sorgt.