"Transparenz gut, auch wenn es einigen Banken weh tut." | Investoren sollen sich selbst ein Bild machen können, meint Bankenexperte. | "Wiener Zeitung": Vor der Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse hat es wochenlange Debatten über deren Aussagekraft gegeben. Wie vertrauensbildend kann das sein?
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Josef Christl: Je mehr Transparenz hergestellt wird, umso glaubwürdiger ist das Ergebnis. Die US-Behörden haben vor etwa einem Jahr bei ihrem Stresstest Annahmen und Ergebnisse detailliert kommuniziert. Sonst besteht die Gefahr, dass die Investoren und Märkte selbst etwas hineininterpretieren.
Sind die ausgewählten Stresstest-Kriterien scharf genug?
Jener Teil des Szenarios, der sich mit einer neuerlichen Rezession befasst, unterscheidet sich praktisch nicht von den damaligen Annahmen der USA. Das ist durchaus ein harter Test für die Banken, und das wird von den Märkten auch so gesehen. Nicht besonders scharf sind die Kriterien, wo Verluste aus Staatsanleihen simuliert werden.
Ist das nicht kontraproduktiv? Der Stresstest ist ja letztlich aus der europäischen Staatsschuldenkrise heraus notwendig geworden.
Wenn die Banken aber bereit sind, darüber Auskunft zu geben, wie viele Anleihen welchen Landes sie wo in der Bilanz halten, kann sich ohnehin jeder Investor selbst ein Bild machen. Je mehr Details, umso größer das Vertrauen.
Hat sich Europa bei diesem Stresstest nicht in etwas hineintreiben lassen, dessen Ausgang kaum kontrollierbar ist?
Wegen des Vertrauensverlustes auf den Märkten ist eine ganze Reihe von Banken von der Finanzierung durch die Europäische Zentralbank abhängig. Das ist kein dauerhaft wünschenswerter Zustand. Der Stresstest ist eine Möglichkeit, Transparenz zu schaffen, auch wenn es einigen Banken weh tun kann.
Was kann Europa im Sinne einer künftigen gemeinsamen Bankenaufsicht aus diesem Probegalopp lernen?
Freilich ist ein einheitlicher europäischer Stresstest institutionell eine Herausforderung. Klar ist, dass wir auf diesem Weg weiter vorankommen müssen. Auch die Aufsicht hat in der Krise nicht optimal funktioniert. Man muss künftig nationale Egoismen möglichst ausschließen.
Josef Christl war von 2003 bis 2008 im Vorstand der Oesterreichischen Nationalbank unter anderem für Bankprüfung zuständig. Der Volkswirt ist Gastprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien und berät Banken im Rahmen seiner Firma Macro-Consult.