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Je suis Charlie

Von Isolde Charim

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Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Der wahre Feind der Islamisten ist die atheistische, säkulare, plurale, liberale, demokratische 68er-Welt. Diese befindet sich in einem Zangengriff.


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Wenn fanatisierte junge Männer eine ganze Zeitungsredaktion meucheln, dann ist das gezieltes Morden und mörderische Metapher, realer und symbolischer Angriff zugleich. Eine punktgenaue Exekution. So eindeutig die Aktion und der Horror, so uneindeutig und verwirrend sind viele Reaktionen darauf.

Da gibt es jene, die das Attentat nicht ohne ein "Aber" verurteilen. Aber die haben ja provoziert. Aber die Islamophobie. Jene also, für die auch unmittelbar nach dem Attentat die Sorge um den Islam an erster Stelle steht. Dazu gehören auch Ursache-Wirkung Erklärungen: also die Aufzählung sozialer Missstände und gesellschaftlicher Ausgrenzungen. Das sind tatsächlich alarmierende Zustände. Was daraus jedoch nicht folgt, ist eine Kausalität: Terrorismus ist keine notwendige Folge. Das ist eine Rationalisierung des Terrors, die einer Legitimierung nahe kommt. "Ich wünsche jedem, der der Verurteilung des Mordes ein ,Aber‘ hinterherschiebt", so Deniz Yücel in der taz, "lebenslang Dresden an den Hals."

Das ist die andere Seite - jene, die die Sorge vor dem Islam umtreibt. Diese sind die "Profiteure" des Attentats: Sie fühlen sich in ihrem Phantasma einer drohenden Islamisierung bestätigt. Irrationalisierung pur. Denn es ist klar, dass solch ein barbarischer Akt keinesfalls einer "Islamisierung" Vorschub leistet: Weder taugt er dazu, eine schleichende Islamisierung zu befördern, noch ist er Vorbote einer gewaltsamen Machtübernahme.

Allen gemeinsam ist aber die gegenseitige Schuldzuweisung. Während für die einen der Multikulturalismus dem Islam Tür und Tor geöffnet haben soll, sind für die anderen die islamophoben Rassisten schuld an solchen Anschlägen. Kurzum, sie spielen das alte Links-Rechts-Spiel.

Tatsächlich muss man aber gerade in diesen Tagen mit Nachdruck etwas behaupten, was an dieser Stelle schon mehrfach betont wurde. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Die eigentliche Front (und um eine solche handelt es sich zusehends) verläuft nicht zwischen Pegida und Terroristen. Sie verläuft nicht zwischen Rassisten und Islamisten. Sie verläuft auch nicht zwischen Abendland und Morgenland. Das macht die gegenwärtige Situation so unübersichtlich: Der Frontverlauf folgt nicht der deklarierten Demarkationslinie. Der deklarierte Gegner ist nicht der wirkliche Gegner. Gerade das hat das Horrorattentat auf Charlie Hebdo klargemacht. Ebenso wie 2011 das Horrorattentat des Norwegers Anders Breivik. Die Islamisten haben nicht auf Rassisten geschossen. Ganz im Gegenteil. Und Breivik hat nicht auf Moslems geschossen. Ganz im Gegenteil. Rassisten und Islamisten sind einander nicht zu bekämpfende Feinde, sondern Rivalen. Die Opfer aber sind Karikaturisten (heute) und junge Sozialdemokraten (damals) - denn das ist der wahre Feind für beide Seiten. Der wahre Feind der Islamisten (und der wahre Feind der Rassisten) - das ist die atheistische, säkulare, plurale, liberale, demokratische 68er-Welt. Diese befindet sich in einem Zangengriff. Diese wird von zwei Seiten angegriffen. Wie tief der Graben ist, zeigte eine Karikatur nach dem Attentat: Ein Terrorist steht mit rauchender MP vor einer Leiche und ruft: He drew first! Es ist dies eine Auseinandersetzung, bei der man nicht einmal das Schlachtfeld teilt.