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Jean-Claude Junckers Hoch auf Europa

Von Martyna Czarnowska

Politik

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Straßburg/Brüssel. Er konnte sich dann doch zurückhalten. Vorige Woche noch, als Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel in Brüssel nach einer Bilanz seiner Amtszeit gefragt wurde, erklärte der scheidende EU-Kommissionspräsident, dass eine Antwort zu lange dauern würde. Eine Aufzählung der Erfolge seiner Mannschaft würde Stunden beanspruchen - und eine der Misserfolge würde noch mehr Zeit benötigen.

Aber am Dienstag in Straßburg, wo die EU-Parlamentarier zu ihrer Plenarsitzung zusammengekommen waren, schaffte es Juncker dann doch, einen Rückblick in nicht einmal eine halbe Stunde zu packen. Er erzählte vom europäischen Investitionsplan, mit dessen Hilfe mehr als eine Million Jobs geschaffen wurden und die Wirtschaft der EU um 0,9 Prozent stärker wuchs. Er sprach vom Friedensprojekt, das jungen Menschen erklärt werden müsse, weil diese bald keine Groß- und Urgroßeltern haben werden, die den Krieg erlebt hätten. Und er rief dazu auf, "mit aller Kraft den dummen Nationalismus" zu bekämpfen. Nicht zum ersten Mal ließ er dann Europa hoch leben: "Vive l‘Europe!"

Kandidaturen abgelehnt

Es waren die Tage der Abschiede für Juncker - und für EU-Ratspräsident Donald Tusk, der ebenfalls nach Straßburg anreiste. Beider Amtszeit geht nämlich in den kommenden Wochen zu Ende. Ob es allerdings tatsächlich die letzte gemeinsame Gipfel-Pressekonferenz und der letzte Auftritt vor dem EU-Parlament waren, wie die zwei Politiker in den vergangenen Tagen betonten, ist noch nicht klar. Zum einen könnte es wegen des Brexit-Chaos schon bald einen Sondergipfel geben. Zum anderen verzögert sich der Antritt der neuen Kommission sowieso.

Am morgigen Mittwoch hätte das EU-Abgeordnetenhaus über die Mannschaft von Junckers Nachfolgerin abstimmen sollen - nachdem es im Juli Ursula von der Leyens Nominierung bestätigt hatte, wenn auch mit knapper Mehrheit. Doch andere Kandidaturen haben die zuständigen Ausschüsse abgelehnt. Die Bewerber aus Ungarn und Rumänien wurden wegen finanzieller Interessenskonflikte nicht zugelassen, und der Anwärterin aus Frankreich wurden laufende Ermittlungen zu einer Scheinbeschäftigungsaffäre zum Verhängnis. Während Ungarn bereits einen anderen Kandidaten benannt hat, ist in Rumänien in der Zwischenzeit die Regierung gestürzt, was zu weiteren Verzögerungen führt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum war über die Ablehnung seiner Bewerberin erbost und lässt sich nun mit einer weiteren Nominierung Zeit.

So ist der Termin des 1. November für den Amtsantritt der neuen Kommission nicht haltbar. Die drei Kandidaten müssen sich noch einer Anhörung stellen, danach stimmt das Plenum des Parlaments über von der Leyens gesamtes Team ab. Das tagt diese Woche in Straßburg und erst wieder am 13. sowie 14. November in Brüssel. Die übernächste Plenarsitzung ist dann für Ende November in Straßburg angesetzt. Würden bis dahin die Anhörungen der Kommissarskandidaten abgeschlossen sein, könnte das Votum da stattfinden - und die Kommission am 1. Dezember ihr Amt antreten.

Brexit: Ratifizierung vertagt

Es war übrigens nicht die einzige Abstimmung, die das EU-Parlament verschoben hat. Es hat außerdem die Möglichkeit erwogen, diese Woche das Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zu ratifizieren, auf das sich Premier Boris Johnson und die EU-Verhandler vor einigen Tagen geeinigt hatten. Doch die Ereignisse auf der Insel wirbelten auch diese Überlegungen durcheinander. Die Abgeordneten wollen nun mit der Ratifizierung warten, bis es mehr Klarheit in London gibt.

Dementsprechend ernüchtert sind die Reaktionen auf die bisherigen Brexit-Schritte. Juncker fand dafür klare Worte: Die Gespräche seien eine Verschwendung von Zeit und Energie gewesen.•