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"Jede Bank ist so sicher wie der Staat, in dem sie arbeitet"

Von Reinhard Göweil, Frankfurt

Wirtschaft
EZB-Direktorin Gertrude Tumpel-Gugerell bei ihrer offiziellen Verabschiedung in Frankfurt. Foto: EZB/A.Böttcher

Banken sollen selbst Verluste abfedern können. | Nationale Aufsicht war hochvernetzten Finanzmärkten nicht mehr gewachsen. | Bessere Kontrolle noch nicht umgesetzt. | Abseits der Schuldenprobleme von Ländern wie Griechenland denken seit der Finanzkrise Aufsichtsbehörden und Notenbanken weltweit darüber nach, wie Bankenzusammenbrüche vermieden werden können. | Ohne mehr Reform-Eifer kein Geld


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Nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im September 2008, als das Vertrauen in die Banken am Boden war und viele Institute mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten, ging die Angst vor einem Run auf die Bankschalter um. Viele Staaten, auch Österreich, sprachen unbeschränkte Garantien für Sparguthaben aus und pumpten Milliarden an Steuergeld in die Geldhäuser.

In der Europäischen Zentralbank und allen Notenbanken begann das große Nachdenken. Martin Hellwig, einer der renommiertesten Ökonomen Europas, brachte es bei einem Symposium in Frankfurt auf den Punkt: "Jede Bank ist so sicher wie das Land, aus dem heraus sie arbeitet." Für Deutschland beispielsweise ist Hellwig durchaus skeptisch. "Ich habe große Bedenken. Deutschlands Wirtschaft lebt vom Export. Die Sicherheit der Banken hängt also auch am Gedeihen der Automobilerzeuger."

Ins selbe Horn stieß Charles Goodhart, Professor an der London School of Economics: "Banken und Versicherungen haben ein Probleme, wenn ihr Staat in Finanzprobleme gerät." Was die Ökonomen so überspitzt formulieren, ist die äußere Grenze des Risikos. Anders gesagt: Wenn Griechenland umschuldet, gehen die griechische Banken pleite. Was dann passiert, mag sich niemand ausmalen.

Den Überblick verloren

Aus diesem Grund werden nun die Kapitalvorschriften der Banken deutlich verschärft - das Ganze nennt sich "Basel III". Basel deshalb, weil dort die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sitzt, wo die Pläne erstellt wurden. Und III, weil es zwei andere Regelwerke davor gegeben hat. Erste-Chef Andreas Treichl hat sich jüngst darüber furchtbar aufgeregt. "Nach diesen Plänen muss ich die Kredite an ein Unternehmen, das ich lange kenne mit höheren Eigenmitteln unterlegen als griechische Staatsanleihen." Basel III ist als Thema kein Straßenfeger, betrifft aber alle, die Kredit benötigen.

Treichls Lamento stimmt prinzipiell, allerdings arbeiten viele Banken mit beängstigend wenig Eigenkapital - und das ist notwendig, wenn es zu Ausfällen kommt. Da sich die Staaten kein zweites Bankenpaket leisten können, müssen also die Institute selbst dafür sorgen, vorzusorgen. Die Eigenkapital-Ausstattung wird bis 2018 von derzeit 4 auf 8,5 Prozent der Bilanzsumme angehoben. Jaime Caruana, Chef der BIZ, sagte in Frankfurt: "Wir müssen die Kapitalpuffer erhöhen und ich räume ein, dass wir mit unserer Arbeit noch nicht fertig sind."

Kurioserweise haben der Euro und die finanzielle Integration Europas das Problem verschärft. "Mit der grenzüberschreitenden Geschäften stiegen die Volumina und die Komplexität der Finanzprodukte", sagte Alexandre Lamfalussy, der die Euro-Vorbereitungen leitete. Mehr als 3000 Milliarden Dollar liehen die Banken einander - auch weil es plötzlich gemeinsame Regeln und Handelsplattformen gab. "Tausende hochqualifizierte Leute in den Banken ließen sich ständig was Neues einfallen", sagte Lamfalussy. "Und leider gab es eine negative Korrelation zwischen dem Niveau der Aufsichtsentscheidungen und dem Verständnis der mittlerweile involvierten Risken." Im Klartext: Niemand kannte sich aus.

Schweiz: Strenge Regel

Die als EZB-Direktorin turnusgemäß ausscheidende Österreicherin Gertrude Tumpel-Gugerell verteidigt dies trotzdem: "Die Integration der Finanzmärkte ist die Basis für eine reibungslose und schnelle Abwicklung der Geldpolitik, und sie macht eine Wirtschaft deutlich effizienter." Während der Euro und seine technischen Möglichkeiten im gesamten EU-Raum und darüber hinaus genutzt wurden, blieben die Aufsichtsregeln und Kapitalbestimmungen in nationaler Souveränität. In der Finanzkrise erwies sich dies als untauglich.

"Wir haben viele Fehler gemacht", räumte der Chef der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand, beim hochrangigen Treffen der Bankenaufseher in Frankfurt ein. Eines steht für ihn fest: "Die Qualität des Kapitals einer Bank ist entscheidend." Die Schweizer Großbank UBS habe vor der Krise mit dem Slogan geworben, sie seien die bestkapitalisierte Bank der Welt. "In der Krise stellte sich heraus, dass die echte Eigenkapitaldecke bei 1,2 Prozent lag", so Hildebrand. Die Schweiz verschärfte die Kapitalvorschriften dramatisch. "Viele Banker sagten, es gibt so viel Kapital nicht. Nun, in den vergangenen zwölf Monaten haben die Banken weltweit Kapitalerhöhungen in Höhe von 100 Milliarden Dollar gemacht. Das hielt davor niemand für möglich."

Stresstests verschärft

Der ehemalige Chef der Unicredit, Alessandro Profumo, erklärte, dass er als Banker mit Geschäftsinteressen in 17 Ländern gerne eine gemeinsame europäische Aufsicht hätte. Je einheitlicher, desto besser. Goodhart von der renommierten LSE ortet hier noch erhebliche Schwächen: "Die finanzielle Vereinigung Europas wird noch lange dauern, das ist ein unvollendetes Werk." Goodhart erklärt sich das mit der Stärke des Privatkundengeschäfts in Europa. "Da die gesamte Bevölkerung ihr Erspartes bei Banken investiert, müssen die nationalen Regierungen schauen, dass diesen Banken auch nichts passiert."

Um das Erreichte zu überprüfen, findet derzeit europaweit ein Banken-Stresstest statt. Aus Österreich müssen daran Raiffeisen Bank International, die Erste-Gruppe und die Volksbanken-AG teilnehmen. Bereits im Vorjahr gab es einen solchen Test, der allerdings nicht besonders ambitioniert war. Die irischen Banken beispielsweise bestanden den Test, mussten dann aber verstaatlicht werden und trieben Irland unter den Euro-Rettungsschirm. Profumo: "Dieser Stress-Test beschädigte die teilnehmenden Banken und die Aufseher gleichermaßen." Nun soll es besser gemacht werden, das Ergebnis soll Mitte Juni vorliegen.

Hellwig also auf die Frage, wie denn ein Kunde erkennen könne, wie sicher seine Bank sei: "Es ist notwendig, sich die finanzielle Solidität des Staates dahinter anzuschauen." Denn aufgrund ihrer Bedeutung als Finanzierungsquelle für die Wirtschaft ist es - so der Tenor - schlicht nicht möglich, eine Bank einfach pleite gehen zu lassen.

Tumpel-Gugerell: "Wir müssen die Aufsicht verschärfen. Dazu gehört aber auch, das Geschäftsmodell der Bank laufend zu prüfen und die Transparenz der Finanzprodukte zu erhöhen." Damit sind Europas Finanzaufsichtsbehörden noch lange nicht durch.