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Kaum Sanktionen für "wissenschaftliches Fehlverhalten". | Das Internet als Steinbruch für akademische Arbeiten. | Wien. Der Medienwissenschafter Stefan Weber, Privatdozent in Salzburg, der sich am dortigen Institut für Kommunikationswissenschaften durch die Aufdeckung von Plagiaten nicht gerade beliebt machte, weiß, wovon er spricht. Seine eigenen Arbeiten "sind nunmehr bereits zum vierten Mal nachweislich plagiiert worden - die Höhe der Dunkelziffer ist mir freilich unbekannt". Erst am vergangenen Sonntag hat er den vierten Fall (eine Diplomarbeit an der Universität Wien) angezeigt. Für Weber ist es empörend, dass für Diplom- und Doktorarbeiten das mehr oder minder wortgetreue Abschreiben langer Passagen, ja ganzer Kapitel aus fremden Arbeiten "in den vergangenen Jahren in den Kulturwissenschaften offenbar salonfähig wurde".
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Statt eigene mühevolle Recherchen anzustellen, bedient man sich an Texten zum Thema im Internet, statt Bücher selber zu lesen und korrekt daraus zu zitieren, kopiert man lieber lange Bibliographien, deren einzelne Werke man nur zu einem bescheidenen Prozentsatz in der Hand gehabt hat, und übernimmt Zitate aus Zweit- und Drittquellen. Nur wenige können eigene Gedanken und Thesen entwickeln und entsprechend formulieren.
Erst Plagiatsversuch, dann Ghostwriter
In einem sehr klaren Fall konnte Weber in Salzburg die Aberkennung des Bakkalaureats-Grades durchsetzen, allgemein konstatiert er aber eine sehr laxe Haltung gegenüber dem, was einzelne andere Länder bereits als "wissenschaftliches Fehlverhalten" ahnden. So verweist der Wiener Erziehungswissenschafter Stefan Hopmann darauf, dass in Norwegen des Plagiierens überführte Studierende für einige Jahre "gesperrt" sind, während sie hier nur die Arbeit umschreiben müssen. Weber vermutet, dass jene, die im Grunde zum wissenschaftlichen Arbeiten unfähig sind, es zunächst mit Plagiatsarbeiten versuchen und dann, falls das überhaupt auffliegen sollte, einen "Ghostwriter" beschäftigen. Das kostet zwar Geld, ergibt aber meist eine professionelle Arbeit, deren Nicht-Urheberschaft dem Studierenden kaum nachzuweisen ist.
Weber schätzt - und trifft sich darin mit Hopmann -, dass für etwa ein Drittel der eingereichten Diplom- und Doktorarbeiten dringender Plagiatsverdacht besteht.
Für einen im Dezember 2005 in Graz gehaltenen Vortrag hat Weber Fakten zu dieser Thematik zusammengestellt:
o Studie aus Schweden, 2000: 37 Prozent der Lehrer beklagen Plagiate.
o Amerikanische Untersuchung, Donald McCabe: 36 Prozent der Studierenden "cheat regularly" (betrügen regelmäßig).
o Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Debora Weber-Wulff, 2004: "Mehr als ein Drittel" plagiiert (eigene Statistik).
o Universität Hamburg, Joan Bleicher, November 2004: "Bis zu 15 Prozent" der Studierenden plagiieren (eigene Statistik).
o Zeitschrift "Nature", Mai 2005: 1,5 Prozent der befragten Wissenschaftler gestehen geistigen Diebstahl.
o Universität Innsbruck, Institut für Politikwissenschaft, November 2005: 44 Prozent der Studierenden entlarvt.
Strafen für Plagiatoren sind im Gespräch
Seitens der Politik hat sich inzwischen ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek für ein schärferes Vorgehen gegen Plagiarismus ausgesprochen. Es müsste, so Weber, darin bestehen, dass über Plagiatoren eine temporäre oder lebenslange Sperre von der Uni bis zur Geldstrafe verhängt werden kann. Noch hechelt man den Plagiatoren hinterher wie den Dopingsündern. Einige erwischt man, andere wissen geschickt zu entschlüpfen und ihre Quellen zu verschleiern. Weber plädiert für Ombudsstellen gegen wissenschaftliches Fehlverhalten an allen Universitäten. Bedingung für ein systematisches Vorgehen gegen Plagiatoren wäre, dass jede wissenschaftliche Arbeit in einer Datenbank im Netz abrufbar ist und auch alle älteren Werke eingescannt sind. "Aber das", so Stefan Weber, "ist noch Zukunftsmusik."