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Jede fünfte Frau in Österreich Opfer von Gewalt - nur wenige suchen Hilfe

Von Petra Tempfer

Analysen

Weit klafft die Schere zwischen Opfern und Hilfesuchenden auseinander, wenn es um das Thema häusliche Gewalt an Frauen geht (nur acht Prozent der Opfer von Gewalt in der Familie sind Männer). Denn den Schätzungen, dass jede fünfte Frau davon betroffen ist, stehen lediglich 3220 gegenüber, die 2008 in den autonomen Frauenhäusern des Landes Zuflucht gesucht haben. | Gewalt an Frauen bleibt im Dunkeln | Nationale Strategie gegen Gewalt in der Schule geplant


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Die Dunkelziffer ist demnach hoch, das Thema nach wie vor tabu. Zahlreiche Frauen scheuen sich nämlich davor, ihren aus Mädchenphantasien geschaffenen Traum vom heilen Familienleben platzen zu lassen - zumindest vor anderen, also Nachbarn, Freunden, Geschwistern oder Eltern. Denn vielen ist selbst längst klar, dass das Familienglück nur mehr nach außen hin existiert, um der Erwartungshaltung der Umgebung gerecht zu werden.

Ein schmerzlicher Fehler - und dennoch ist der Schritt, den Gewalttäter aus der eigenen Familie zu verraten oder gar die Polizei einzuschalten, häufig mit einer unüberwindbaren Hürde verbunden: Der Angst vor dem Partner, der finanziellen Abhängigkeit von ihm oder der Sorge um die Kinder, denen man dieses unangenehme Erlebnis ersparen möchte.

Oft liegt die Ursache aber bei der Frau selbst, die die erlebte Gewalt einfach nicht wahrhaben möchte. Vielmehr hängt sie an der längst nicht mehr romantischen Beziehung zu ihrem Partner, mit dem sie sich nach wie vor verbunden fühlt. Daher schiebt sie die negativen Erfahrungen von sich und klammert sich an Sätze wie "Entschuldigung, es wird nicht wieder vorkommen" oder "Es wird alles besser". Denn auch der wahre Schuldige scheint schnell gefunden: Der Alkohol, der dem Mann die Sinne raubt. Oder der Stress, der ihn in einen Ausnahmezustand versetzt. Dass das alles nur Ausreden sind, wird dabei übersehen.

Damit nicht genug: Aus einem fatalen Fehlschluss heraus suchen viele die Schuld bei sich. Mit dem Vorwurf, als Partnerin versagt und sich die Schläge daher gerechter Weise verdient zu haben - vielleicht, weil es schon in Kindertagen zum Alltag gehörte, wie die Psychotherapeutin Kristina Ritter erläutert. Eine einleuchtende Erklärung für das Verschweigen häuslicher Gewalt ist auch das Stockholm-Syndrom: Ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer ein positives emotionales Verhältnis zum Täter aufbauen.

Gewalt gegen Frauen ist jedenfalls keine Randerscheinung und zieht sich laut Alexandra Sokol vom Tiroler Gewaltschutzzentrum durch alle Altersschichten, Nationalitäten und Einkommensstufen. Damit hat sie wohl recht - es darf jedoch nicht übersehen werden, dass Migrantinnen aus Drittstaaten fünf Jahre lang verheiratet sein müssen, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ein weiteres schwarzes Loch also, in dem häusliche Gewalt totgeschwiegen werden kann.