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Jede Party endet in der Küche

Von Julia Urbanek

Reflexionen
Küche als architektonisches Meisterwerk
© Archiv/Bulthaupt

Die Küche ist das Herz jeder Wohnung, wo es sich am besten plaudert. Das "Wiener Journal" plauderte über Küchen - mit einer Ernährungsexpertin, einem Historiker und einer Innenarchitektin. Über Vergangenheit und Zukunft, über Männerkochen, Kücheninseln und dritte Orte.


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Küchen sind und waren immer ein Abbild der gesellschaftlichen Realität. Sie sind das Herz jedes Hauses, jeder Wohnung - hier wird gekocht, gebacken, getrunken, debattiert. Und nicht umsonst haben Küchen den Ruf, dass jedes Fest irgendwann hier endet - mag die Küche auch noch so winzig sein. Als Raum haben Küchen eine wechselvolle Geschichte: Vor dem 19. Jahrhundert waren sie rauchige Räume mit offenem Feuer, in Bauernhäusern waren sie später Schlafplatz für Knechte und Untermieter, in den 1950er-Jahren waren sie auf Effizienz der perfekten Hausfrau ausgerichtet, gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann die Küche, ins Wohnzimmer zu wandern. Einrichtung und Erscheinungsbild der Küche werden immer aufwendiger, in vielen Wohnungen sind die Möbel rund um Herd und Spüle wahre Statussymbole geworden. Schlichte Einbauküchen sind nahezu passé, ihre Nachfolger glänzen um die Wette - Kücheninseln und Barhocker machen richtige Wohnräume aus den einstigen Arbeitsorten.

Von der Feuerstelle zur Küche. Der Historiker Roman Sandgruber sieht die Küche aus wissenschaftlicher Perspektive: Der Leiter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Linzer Kepler-Universität beschäftigte sich auch als wissenschaftlicher Leiter der oberösterreichischen Landesausstellung "Mahlzeit" mit der Küche als Abbild der Gesellschaft. Küchen, die früher durch das offene Feuer eher dunkle verrauchte Räume waren, wurden durch die Einführung des Sparherds im 18. und 19. Jahrhundert erstmals rauchfrei, erzählt er. Wo der Raum eher knapp war - etwa in Arbeiterfamilien - wurde die Küche dann bald zu einem Wohnort: hier wurde gegessen, geschlafen, in der Nacht wurden hier Untermieter untergebracht. Die Wohnküche war geboren. Verschiedene Strömungen wie die Frankfurter Küche wollten die Küche dann als reinen Arbeitsraum definieren, "sie war nach streng arbeitswissenschaftlichen Grundlagen entworfen, wo alle Wege kurz und möglichst effizient zu sein hatten", erklärt Sandgruber. Im Nationalsozialismus gab es einen regelrechten Richtungsstreit, Hitler war für die Wohnküche, viele in der NS-Frauenbewegung für die Frankfurter Küche. Neben der Wohnküche und der Küche als Arbeitsraum gab es im 20. Jahrhundert noch eine dritte etwas skurrile Idee, die sich allerdings nicht durchsetzte: das Einküchenhaus. Dabei wurden Wohnungen komplett ohne Küche gebaut, eine Küche sollte dann das ganze Wohnhaus versorgen. "Das hat sich überhaupt nicht bewährt, das Wiener Einküchenhaus ist dann mit viel Aufwand umgebaut worden", erklärt Sandgruber. Schließlich setzte sich die Frankfurter Küche durch, die über den Weg der USA als amerikanische Küche ihren Siegeszug antrat. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war nun geprägt von der klassischen Einbauküche - nun lösen sich die Grenzen wieder auf.

Könnte es sein, dass die Küche einmal ganz aus den Wohnungen verschwindet? Immerhin wird in vielen Haushalten kaum mehr gekocht. "Das glaube ich nicht", meint Roman Sandgruber. "Sie hat ja eigentlich an Status gewonnen. Sie wird in den Wohnraum integriert, ist blitzblank und sehr aufwendig. Man versteckt sie nicht mehr im hintersten Winkel, sondern zeigt sie." Das Interesse an der Landesausstellung "Mahlzeit", aber auch an Kochsendungen, an Kochbüchern zeige ja die große Bedeutung von Essen und Kochen für die Menschen: "Essen betrifft jeden, ohne würden wir schließlich verhungern. Ohne Auto kann man schon existieren, auch wenn wir dafür mittlerweile mehr Geld ausgeben als für Essen." Roman Sandgruber rechnet die Fakten vor: "Im Warenkorb sind Lebensmittel dramatisch abgesunken. Im 19. Jahrhundert hat eine durchschnittliche Familie fast zwei Drittel des Einkommens für Essen ausgegeben, heute sind es maximal 15 Prozent."

Wohnraum Küche. Im Innenarchitekturbüro Quas in der Wiener Gumpendorferstraße werden gerade überdurchschnittlich viele Küchen in Auftrag gegeben: "Küchen sind der Teil der Wohnung, wo Kunden immer noch viel Geld ausgeben", erklärt Karin Quas. Quas´ Kunden investieren zwischen 20.000 und 25.000 Euro für eine neue Küche. Aber unabhängig von Preisklassen ziehen sich manche Trends durch: Hochglanzschränke ohne Griffe und die Kücheninsel, die als Bar und Arbeitsfläche die Küche noch mehr in den Wohnraum bringt.

Die Wohnküche ist heute bereits Standard. Abgeschlossene Küchen sind längst Vergangenheit: "Die gibt es eigentlich fast nur mehr im Altbau. Und selbst da werden sie bei größeren Umbauten in den Wohnraum integriert", erklärt Quas. Die Phase der Küche "zum Verstecken", wo Panele den gesamten Arbeitsbereich verschwinden lassen können, ist laut Karin Quas schon wieder vorbei: Sie sei vor allem für Familien eher unpraktisch, da beim gemeinsamen Zubereiten immer eine Schiebetüre im Weg ist. Sie ist eher eine Variante für Menschen, die wenig kochen und die Küche nicht täglich verwenden - die Küche kann dann für gewisse Zeit vollkommen aus dem Erscheinungsbild des Wohnzimmers verschwinden.

Zukunft des Kochens. Kann es denn sein, dass die Küche dann in weiterer Folge einmal ganz aus der Wohnung verschwindet, und Mikrowelle und Kühlschrank übrig bleiben? "Im städtischen Raum mit fast 70 Prozent Singlehaushalten ist das möglich. Da stellt sich auch die Frage, ob Kochen überhaupt noch Sinn macht", erklärt die Wiener Ernährungswissenschafterin und Trendforscherin Hanni Rützler: "Nicht nur aus einem finanziellen Blickwinkel. Kochen ist ja nicht nur ein technisch-handwerklicher Prozess, sondern seit je auch eine soziale Handlung." Da in vielen Ein-Personen-Haushalten die Küche kalt bleibt, wird der Trend im städtischen Raum zunehmend in Richtung "Third-Place-Konzepte" gehen: In einer Zeit, in der die Grenze zwischen Arbeit und Privatem immer mehr verschwimmt, werden "dritte Orte" zur Anlaufstelle, an der Gemeinschaft jenseits des Arbeitsplatzes und der eigenen Wohnung stattfindet, "wo berufliche und private Kontakte gepflegt werden können, wo praktische mit unterhaltsam-kommunikativen Tätigkeiten verknüpft werden können, wie etwa die Möglichkeit seine Einkäufe zu erledigen, zu lesen oder gemeinsam zu essen oder sogar zu kochen."

Als Beispiel in Österreich nennt Rützler das Kochbuchgeschäft "Babette´s": Im kleinen Laden in der Wiener Schleifmühlgasse werden Kochbücher und Gewürzmischungen verkauft. Hier kann man Mittagessen und bei Kochworkshops auch selbst kochen. "Nordeuropa ist da schon viel weiter, in Wien sind solche Konzepte erst in Ansätzen merkbar, da gibt es große Chancen für kreative Entwickler und Unternehmer", meint Rützler.

Generell wird immer unregelmäßiger gekocht: "Wir essen viel auswärts - daran hat auch die Krise wenig geändert", erklärt Rützler: "Es sind wenige Haushalte, wo tagtäglich für eine Gemeinschaft gekocht wird". Allein bei Haushalten mit Kindern hat die Küche einen höheren Stellenwert. Die Zeit des Versorgungskochens ist vorbei - die Lust am Kochen und Essen ist aber ungebrochen: "Essen und Trinken interessiert mehr als ein Drittel der Bevölkerung sehr. Zwar nehmen sich nach wie vor die Frauen des Kochens an, Männer holen aber auf."

Diese entdecken die Freude am Kochen, die "Freude am kreativ sinnlichen und Gemeinschaft stiftenden Prozess". Wenn Männer im Haushalt aktiv sind, dann am ehesten in der Küche. Zum ersten Mal in der Geschichte wagen sich die Männer in den letzten Jahrzehnten verstärkt an die heimischen Herde. Als Berufsköche in Restaurants, an den adeligen Höfen, auf Kreuzfahrtsschiffen - überall wo Kochen mit Status verbunden war - waren Männer schon immer präsent. In den vergangenen Jahren waren nicht zuletzt männliche Berufsköche dafür verantwortlich, Männern das Kochen als Spaß und Hobby schmackhaft zu machen: "Jamie Oliver war da der Türöffner", erklärt Hanni Rützler, "er hat entspanntes Kochen gezeigt - weg von Traditionen, weg vom strengen Kochen mit Gelinggarantie." Seine Botschaft war: Kochen muss Spaß machen. Dabei kann wild herumexperimentiert, kreativ kombiniert werden - er greift die Lebensmittel nicht mit den Fingerspitzen an - er wühlt darin, schmiert Öl über das Fleisch, knetet Gewürze ein. "Jamie Oliver ist ein großer Pionier", meint Rützler.

Seither gibt es viele, die es ihm gleichtun wollen. Jeder Sender hat seine Kochsendung - Promis kochen in der Gruppe, Sarah Wiener macht kulinarische Reisen durch Frankreich, Tim Mälzer tritt sogar in der Stadthalle auf, Gordon Ramsey flucht in seinen "Kitchen Nightmares" ohne Gnade, Patrick Müller beendet das Quasseln beim Kochen und betreibt "Silent Cooking".

Kochen ist ein Quotenbringer. Man sieht im Fernsehen dabei zu, wie die aufregendsten Dinge zubereitet werden - was dann zuhause gekocht wird, ist oft weniger aufregend. Warum schaut man so gerne beim Kochen zu? "Kochen ist einfach etwas Magisches", meint Hanni Rützler.

Wir kochen nicht mehr zur täglichen Versorgung, sondern als Belohnung, es ist etwas Besonderes, etwa als Höhepunkt am Wochenende. Die Küche ist dann nicht mehr bloßer Arbeitsort, sondern Ort der Inszenierung oder Teil des Lebensraums.