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Jede Woche ein Neonazi-Prozess

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Experte: Bevölkerung und Justiz sind sensibilisierter bei Rechtsextremismus.


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Wien. 2. März: In Linz werden zwei Männer wegen Wiederbetätigung zu 18 Monaten bedingt verurteilt. 8. März: Ein Niederösterreicher kassiert dieselbe Strafe für nationalsozialistische Postings auf Facebook. 14. März: Das Landesgericht Eisenstadt verurteilt einen 24-Jährigen wegen Wiederbetätigung zu acht Monaten Haft. 20. März: In Salzburg wird ein Neonazi zu 24 Monaten verurteilt, davon sechs unbedingt. 22. März: In Feldkirch fasst ein 34-Jähriger 18 Monate wegen Wiederbetätigung aus.

Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Gericht in erster Linie junge Männer wegen Straftaten nach dem Verbotsgesetz verurteilt. Auch am Montag standen in Graz wieder acht Angeklagte aus der rechten Szene vor Gericht. Angesichts fast wöchentlicher Neonazi-Prozesse stellt sich die Frage, ob Österreich im braunen Sumpf untergeht.

Für 2011 gibt es noch keine Zahlen, die wird das Innenministerium erst im Rahmen des Verfassungsschutzberichts voraussichtlich im April präsentieren. Der letztjährige Bericht verzeichnete einen Anstieg von 31 Prozent an Anzeigen im Bereich Rechtsextremismus auf 1040 im Jahr 2010 (2009: 791; 2008: 835). Zur Anklage gelangten 2010 insgesamt 153 Fälle (2009: 104; 2008: 17), die zu 45 rechtskräftigen Verurteilungen führten.

Die Zunahme der Anzeigenzahl sei aber "keine Explosion" der Straftaten, sagt Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck zur "Wiener Zeitung". Vielmehr verschiebe sich da einiges "vom Dunkelfeld ins Hellfeld". Es werden demnach also nicht mehr Straftaten begangen, sondern einfach mehr angezeigt.

Wandel der Szene

Das halten auch Experten durchaus für möglich. So sehe man in Teilen der Öffentlichkeit eine größere Sensibilisierung gegenüber Rechtsextremismus, gleichzeitig würde sich auch die Justiz des Themas mehr annehmen, sagt ein Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW).

Doch Beobachter sehen noch einen weiteren Grund für die Zunahme der Verfahren: einen grundlegenden Wandel der Szene. Während das rechtsextreme Lager früher in Gruppen und Organisationen aktiv war, ist die Szene seit zahlreichen Verboten von einschlägigen Gruppen vor allem in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren wesentlich loser organisiert. Erleichtert werden die lockeren Zusammenschlüsse auch durch das Internet.

Die vermeintliche Anonymität des World Wide Web lockt dabei Rechtsextreme viel mehr in die Öffentlichkeit, als dies früher der Fall gewesen wäre, sagen Experten. So registriert auch der Verfassungsschutz, dass rechtsextremes Gedankengut vermehrt online verbreitet wird. Dieses richtet sich zwar nach wie vor in erster Linie gegen die klassischen Feindbilder Ausländer, Juden und Linke, doch auch hier wird die Palette breiter. Vermehrt setzen Neonazis auch auf Globalisierung, Antikapitalismus, Antiamerikanismus bis hin zu Umwelt- und Tierschutz - "Themen, mit denen sie glauben, an die Gesellschaft andocken zu können", sagt ein Szenebeobachter.

Zu Anzeigen kam es aber auch etwa wegen Zurschaustellung und Verherrlichung des Nationalsozialismus (etwa durch einschlägige T-Shirts oder Tattoos) bis hin zu Gewaltdelikten. So stehen die acht Angeklagten in Graz derzeit wegen Körperverletzung vor Gericht (sie sollen bei einer Fußball-Übertragung 2010 den Grünpolitiker Werner Kogler angegriffen und einen Begleiter Koglers verletzt haben), der Prozess wegen Wiederbetätigung folgt erst im Mai.

Insgesamt spielen Gewaltdelikte zwar eine untergeordnete Rolle (von den 1040 Anzeigen erfolgten 32 wegen Körperverletzung), doch sehen Beobachter auch bei Österreichs Rechtsextremen die "Bereitschaft, von verbaler in physische Gewalt umzuschlagen". Selbst mörderischer Terror - wie von der "Zwickauer Zelle" verübt - sei nicht auszuschließen. "Das kann überall passieren", sagt ein DÖW-Mitarbeiter.