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Spanien könnte Treffen überschatten. | Das Gremium der Staats- und Regierungschefs wertet sich selbst auf. | Sozialdemokraten wollen europäische Schuldenagentur. | Brüssel. Die EU-Spitzen hoffen seit langem wieder auf einen regulären EU-Gipfel - ohne akute Notfälle, die dringend bekämpft werden müssen. Allerdings habe es heuer noch kein einziges Treffen der Staats- und Regierungschefs gegeben, das so verlaufen wäre wie geplant, sagte ein hochrangiger Diplomat. Das könnte darauf hindeuten, dass die seit Tagen kolportierten Refinanzierungsprobleme Spaniens den Gipfel überschatten könnten. Denn ansonsten ist die Tagesordnung recht übersichtlich.
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Bereits vorab haben sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy auf die Modalitäten einer "Wirtschaftsregierung" geeinigt, die nichts anderes als eine engere Zusammenarbeit der Staats- und Regierungschef bei der wirtschaftlichen Koordination bedeutet. Merkel hat durchgesetzt, dass grundsätzlich die obersten Vertreter aller 27 EU-Länder gemeint sind. Weil sich im Notfall aber auch nur die Oberhäupter der 16 Eurozonenländer treffen können - wie heuer schon mehrmals passiert - ist auch Sarkozy zufrieden. Beim G20-Gipfel im Toronto Ende Juni soll sich die EU für die Einführung einer Bankenabgabe einsetzen.
Van-Rompuy-Bericht
Zumindest wohlwollend zur Kenntnis genommen wird ein Zwischenbericht einer Arbeitsgruppe von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zur besseren wirtschaftspolitischen Koordination. Wie berichtet verbergen sich dahinter die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts und die Überwachung der unterschiedlichen Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit in den Mitgliedstaaten.
Aufhorchen ließen die Vertreter der Europäischen Sozialdemokraten (SPE) bei ihrem Parteitreffen am Vorabend des Gipfels: Sie wollen eine Europäische Schuldenagentur (EDA) auf die EU-Agenda setzen. Die EDA könnte als Finanzierungsgesellschaft außerhalb des EU-Rahmens oder als EU-Institution gegründet werden. Sie könnte Eurobonds mit erstklassigen Ratings zu Gunsten der Mitgliedstaaten aufnehmen, hieß es in SPE-Kreisen. Zusätzlich könnte die EU-Kommission sogenannte "Grüne Anleihen" aufnehmen, deren Einnahmen zweckgebunden zur Unterstützung der künftigen Wirtschaftsstrategie "Europa 2020" verwendet werden könnten.
Maßzahl für Innovation
Diese soll beim EU-Gipfel endgültig verabschiedet werden und zu intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum führen, wie es in den Entwürfen der Gipfelbeschlüsse heißt. Die Mitgliedstaaten sollen jetzt so rasch wie möglich die Haupthindernisse für das Wachstum ihrer Wirtschaft ermitteln und nationale Reformprogramme vorlegen. Auch hier soll der Europäische Rat die Fortschritte überwachen. Der Unterschied dieser "Wirtschaftsregierung" zur bisherigen Vorgehensweise ist, dass die Staats- und Regierungschefs selber gestalten und nicht nur abnicken, was die EU-Botschafter und Fachminister zuvor ausgehandelt haben, erklärte ein Diplomat.
Konkret soll bis 2020 unter den 20- bis 64-Jährigen die Beschäftigungsquote von 69 auf 75 Prozent steigen. Der EU-Schnitt für Investitionen in Forschung und Entwicklung soll von 1,9 auf 3 Prozent steigen. Das war mit der gescheiterten Lissabon-Strategie schon für heuer geplant. Neu ist lediglich, dass die Kommission aufgefordert wird, einen "Innovationsindikator" zu entwickeln.
Klima und Bildung
Noch einmal werden auch die bereits in Gesetzesform gegossenen Klimaschutzziele betont: 20 Prozent weniger Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990, 20 Prozent weniger Energieverbrauch und ein mindestens 20-prozentiger Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch.
Um das Bildungsniveau anzuheben, soll die Zahl der Schulabbrecher unter zehn Prozent sinken und der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit Hochschulausbildung "oder einem gleichwertigen Abschluss" über 40 Prozent steigen. Dieser Zusatz war Österreich wichtig und bedeutet etwa die Einbeziehung von Ausbildungen zu Diplomberufen im Gesundheits- und Bildungsbereich. Zu guter Letzt soll es bis 2020 mindestens 20 Millionen weniger arme Menschen geben. Wie diese definiert werden, wird den Mitgliedstaaten weitgehend freigestellt.
Wissen: Spaniens marode Banken
(hes) Die Horrormeldungen zu Spaniens Budgetnöten kommen derzeit im Tagestakt: Hatten zunächst deutsche Medien über ein Anzapfen des EU-Rettungsschirmes gemutmaßt, so berichtete nun eine spanische Zeitung, Madrid verhandle mit dem Währungsfonds über einen 250-Milliarden-Euro-Hilfskredit. "Sehr bizarr", nannte das ein EU-Kommissionssprecher und dementierte schärfstens. "Nein, keinesfalls", betonte auch Spaniens Finanzministerin Elena Salgado.
Die Sparkassen leiden
Nicht zu leugnen sind freilich die Probleme der iberischen Finanzinstitute. Dabei hatte es lange so ausgesehen, als wären Spaniens Banken die einzigen in Europa, die von der US-Hypothekenkrise fast unberührt blieben. Der Grund: Die Zentralbank hatte den Instituten schon 2000 strenge Vorschriften auferlegt. Sie mussten Reserven aufbauen, um in schlechten Zeiten nicht unter Druck zu kommen - ähnlich, wie es jetzt für alle Banken verbindlich werden soll. Dadurch hatten sie kaum US-Ramsch-Hypothekenpapiere in ihren Büchern.
Vor allem die Großbanken kamen so fast unbeschadet davon: die Banco Santander verzeichnete trotz Krise Rekordgewinne in Milliardenhöhe, auch BBVA hielt sich gut. Schlimm traf es die kleinen Sparkassen: Ihr Immobiliendebakel lag vor der Haustür. Der Einbruch der Hauspreise verursachte massive Kreditausfälle und einen enormen Abwertungsbedarf: Die Banken sollen auf Schulden von mehr als 300 Milliarden Euro von Hausbauern sitzen. Das Misstrauen der Investoren, aber auch der anderen europäischen Banken ist deshalb groß: Seit Tagen erhalten die spanischen Banken keine kurzfristigen Kredite mehr - letzte Finanzierungsquelle ist die Europäische Zentralbank: Allein im Mai zapften sie diese um mehr als 85 Milliarden Euro an.
Verschärfend kommen Sonderregeln bei der Bilanzierung von Immobilienkrediten hinzu: Während Banken üblicherweise 90 Tage, nachdem ein Kredit nicht bedient wurde, Vorsorgen bilden müssen, konnten sich spanische Institute zwei bis sechs Jahre Zeit lassen. Die zu Beginn der Krise vorbildliche Risikovorsorge kehrte sich dadurch ins Gegenteil. Die Notenbank Banco de España schloss das Schlupfloch Ende Mai, um das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen: Jetzt müssen notleidende Kredite binnen eines Jahres vollständig abgeschrieben sein.
Nur ein Drittel bleibt
Als Folge davon braust eine Konsolidierungswelle durchs Land. Bis Mitte des Jahres soll die Zahl der Sparkassen von 45 auf 15 gesunken sein - unterstützt durch einen mit 90 Milliarden Euro schweren Restrukturierungsfonds der Notenbank. Bisher hatten regionalpolitische Geplänkel Fusionen meist blockiert.