Zum Hauptinhalt springen

Jeder gegen jeden in Islamabad

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Opposition wittert Morgenluft.|Entscheidung des Obersten Gerichts sorgt für neue Unwägbarkeiten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Islamabad. Der Atomstaat Pakistan sucht einen neuen Regierungschef: Hastig hat sich die regierende Pakistanische Volkspartei (PPP) am Mittwoch auf Kandidatensuche begeben, nachdem das Oberste Gericht Regierungschef Yusuf Raza Gilani aus dem Amt gejagt hatte. Während die Partei einen Nachfolger sucht, rutscht das Land noch tiefer in die Krise. Auf den Straßen protestieren wütende Menschen seit Tagen gegen stundenlange Stromausfälle, Taliban-Kämpfer und Al-Kaida-Terroristen töten pakistanische Soldaten und Zivilisten, Pakistans Wirtschaft steht kurz vor dem Kollaps, die Inflation ist auf Rekordniveau: Pakistans Regierung hätte genug Mammutaufgaben zu lösen, während das Land führerlos vor sich hin driftet. Doch auch mit der Bestellung eines neuen Regierungschefs ist die politische Krise nicht beendet - sie beginnt gerade erst richtig:

Pakistans Oberster Richter, Iftikar Chaudhry, hatte Premierminister Gilani für "amtsunfähig" erklärt, nachdem er ihn zwei Monate zuvor wegen Missachtung einer Anweisung zu einer symbolischen Haftstrafe von knapp einer Minute Dauer verurteilt hatte. Der Premier hatte sich geweigert, den Korruptionsfall gegen Pakistans Präsident Asif Ali Zardari wieder aufzurollen.

Pakistans Opposition feiert und fordert Neuwahlen: "Diese Regierung ist ein perfektes Rezept für Desaster", sagt Oppositionsführer Nawaz Sharif. Andere hingegen sprechen von einem "juristischen Staatsstreich". "Das Oberste Gericht hat einen weiteren Schritt vorwärts auf dem Weg zur Juristen-Diktatur genommen", kritisiert der pakistanische Journalist Cyril Almeida die Entscheidung. Andere legen nahe, dass das Gericht dem mächtigen Militär zu Willen sei, das die zivile Regierung schwächen wolle.

Denn das Urteil des Obersten Gerichtes zieht einen ganzen Rattenschwanz unappetitlicher Unwägsamkeiten hinter sich her, die das Land weiter destabilisieren könnten. Weil laut Gericht der Premierminister bereits seit zwei Monaten nicht mehr Premierminister ist und somit seine Regierung keine Regierung mehr, sind alle Gesetze und Entscheidungen in diesem Zeitraum "de lege" null und nichtig. Dazu gehört unter anderem der gerade vom Parlament verabschiedete Staatshaushalt.

Sumpf aus Korruption und mafiösen Seilschaften

Der Rauswurf Gilanis ist der letzte Akt in dem verworrenen Kampf zwischen Regierung und dem Obersten Gericht, der mit harten Bandagen ausgefochten wird. Auf der einen Seite steht Chefrichter Chaudhry, der unerschrockene und eigenwillige Jurist, der schon 2007 Ex-General Pervez Musharraf unbeirrt die Stirn bot. Auf der anderen Seite des Rings steht der als korrupt verschriene Präsident Zardari, der es bislang virtuos verstanden hat, seine wackelige zivile Regierung trotz Skandalen, Wirtschaftskrise, islamistischem Terror und Druck von Opposition und Armee vier Jahre lang durchzumogeln.

Doch Chaudhry, der für viele in Pakistan wegen seiner Unbestechlichkeit zur Symbolfigur geworden ist, kämpft inzwischen um seinen eigenen Ruf. Denn während der Richter sich Gilani vorknöpfte, um gegen Zardari zu schießen, machten plötzlich Gerüchte die Runde, dass der Sohn des Obersten Richters bestechlich sei: Der schwerreiche Baulöwe Malik Riaz erklärte, Arsalan Iftikhar Chaudhry habe Millionen Dollar verlangt, um die Gerichtsurteile seines Vaters zu beeinflussen.

Chaudhry senior zitierte daraufhin prompt seinen 32-jährigen Sprössling vor seine eigene Gerichtsbank. Riaz, ein windige Figur, der zudem eng mit Präsident Zardari befreundet ist, gesteht zwar ein, dass das Gericht ihm nie gefällig war. Doch die Schlammschlacht zwischen ihm und dem Gericht kratzt am Image des Top-Juristen. Mit seiner Entscheidung gegen Gilani hat Chaudhry die Familiengeschichte zunächst wieder aus den Medien verdrängt.