Handy- und Internet-Daten werden sechs Monate gespeichert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Luxemburg/Wien. "Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz." Das besagt Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Doch seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 klaffen Anspruch und Realität auseinander, werden Gesetze im Namen der Sicherheit verschärft. 2006/24/EG ist ein Kind dieser Zeit. Jene EU-Richtlinie wurde zwecks Terror-Bekämpfung im Jahr 2006 verabschiedet.
Nichts weniger als die anlasslose Überwachung bedeutet die Richtlinie. Ein halbes Jahr müssen Kommunikationsbetreiber in der EU Name und Adresse des Benutzers speichern, ebenso Handy- und Telefonnummern, IP-Adressen - mit der sich ein Computer ins Internet einklinkt - und E-Mail-Adressen. Auch die Geräte-Identifikationsnummern von Mobiltelefonen oder die Standortdaten sind Teil der Regelung.
Dementsprechend heftig fällt die Kritik aus. Immer wieder taucht in den Diskussionen das Recht auf Datenschutz auf. In Österreich traten die Bestimmungen daher erst im vergangenen Jahr in Kraft, Deutschland weigert sich nach wie vor beharrlich. Und Aktivisten aus ganz Europa formierten sich gegen die Vorratsdatenspeicherung.
Staat misstraut Bürgern
Vier Gruppierungen haben heute, Dienstag, ihren großen Auftritt, drei österreichische Initiativen und eine aus Irland: Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg werden ihre Klagen gegen die Richtlinie verhandelt. "Über die Vorratsdatenspeicherung wird Menschen verdachtsunabhängig der Missbrauch ihrer Freiheit und ihrer unveräußerlichen Rechte unterstellt", sagt Anwalt Ewald Scheucher, der den "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" vertritt. Mit der Vorratsdatenspeicherung wird somit die Unschuldsvermutung umgekehrt. Jeder gilt als verdächtig, daher werden seine Kommunikationsdaten erst einmal gespeichert. Der Staat steht seinen Bürgern mit Misstrauen gegenüber.
Nicht nur Datenschutz-Aktivisten hegen Zweifel, ob die Richtlinie legal ist, sondern auch der österreichische Verfassungsgerichtshof. Dieser ersuchte den Europäischen Gerichtshof zu klären, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist. Außerdem beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, welche Rolle die Grundrechtestandards der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Auslegung der EU-Grundrechte spielen. Denn die Menschrechtskonvention sieht zwar ein Recht auf Privatsphäre, jedoch nicht ausdrücklich auf Datenschutz vor.
Beobachter rechnen noch heuer mit einer Entscheidung durch die Richter. Es gilt als möglich, dass der EuGH die Regelung kippt. Auch in der EU-Kommission steht die Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form auf wackeligen Beinen: Innenkommissarin Cecilia Malmström will den Anwendungsbereich beschränken und die Speicherdauer verkürzen. Statistiken, wonach sich die Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten seit Richtlinie 2006/24/EG verbessert hat, gibt es offenbar nicht.
Sagt Obama Putin-Besuch ab?
Aufwind erhielten die Datenschützer durch den immer weitere Kreise ziehenden Abhörskandal. In Deutschland fordert die SPD nun von der Regierung Auskunft über eine mögliche Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit dem US-Geheimdienst NSA bei der Ausspähung von Bürgern. Und im Tauziehen um den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden droht Barack Obama, den geplanten Gipfel mit Wladimir Putin im September abzusagen.