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Christine Stix-Hackl ist Österreichs - und EU-weit der einzige weibliche - Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" unterscheidet sie ihre Tätigkeit klar vom herkömmlichen Anwaltsverständnis. Die anstehende Erweiterung der Union um zehn Länder skizziert sie in mehrfacher Hinsicht als "unglaubliche Herausforderung" für den Gerichtshof.
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"Nachdem ich ein Jahr am Collège d'Europe in Brügge studiert hatte und nach Österreich zurückkam, hat man mich gefragt, weshalb ich ein Jahr vertan hätte - und das ist noch nicht so lange her."
Doch in Österreich habe rasch ein Umdenkprozess eingesetzt, bezeugt die Juristin, die mit der österreichischen Annäherung an die EU "mitgewachsen" ist. Sie war seit den 1980-er Jahren als EU-Expertin im Außenministerium tätig und wirkte an den österreichischen Verhandlungen zum Europäischen Wirtschaftsraum sowie zum EU-Beitritt mit.
Seit Oktober 2000 ist Stix-Hackl Generalanwältin am Gerichtshof - wobei ihre ganz korrekte Anrede, abgeleitet aus dem Französischen, "(Frau) Generalanwalt" wäre. Dass auch Sprache männlich dominiert ist, hat die gebürtige Wienerin (46) nicht zuletzt in ihrem Dolmetschstudium (Englisch und Italienisch) erfahren, das sie parallel zum Jusstudium absolvierte und abschloss. Unter den insgesamt acht Generalanwälten ist sie derzeit die einzige Frau. Am Gerichtshof gibt es unter den 15 Mitgliedern immerhin drei Richterinnen. Dass sie als Frau in ihrer Funktion anders entscheidet, schließt Stix-Hackl aus: "Vielleicht fließen andere Überlegungen ein, aber es gibt nur ein Europarecht."
Frauen am EuGH in der Minderheit
So meinte die Generalanwältin im Jahr 2002 im Fall eines deutschen Wehrdienstverweigerers - "ein schwieriges Dossier" -, die allgemeine Wehrpflicht für Männer stelle keine Diskriminierung und damit keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nach EU-Recht dar. Sie empfahl dem EuGH als oberstem EU-Gericht, eine entsprechende Klage eines deutschen Wehrdienstverweigerers abzuweisen. Begründung: Die deutsche Wehrpflicht sei "wesentlicher Bestandteil der nationalen Bestimmungen zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Die Organisation der Streitkräfte falle damit ausschließlich in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten.
Aufgabe der Generalanwälte ist es, Schlussanträge zu Gemeinschaftsrechtsklagen, also Rechtsgutachten, Lösungsvorschläge zu erarbeiten - und damit den Gerichtshof zu entlasten. Dabei werden rechtlicher Hintergrund und Rechtsprechung genau geprüft, erläutert Stix-Hackl die "weitläufige" Funktion. In 80 bis 90 Prozent der Fälle halten sich die Richter an den Schlussantrag und folgen der Urteilsempfehlung des Generalanwalts. Im Unterschied zum deutschen Verständnis eines "Anwalts" ist der "Generalanwalt" also nicht Interessenvertreter einer Partei oder eines Mitgliedstaates. Vielmehr entlasten die Generalanwälte den Gerichtshof bei den in erster Linie schriftlich geführten Verfahren. Keine Generalanwälte gibt es dagegen bis dato am Gericht erster Instanz (EuGeI). Im Durchschnitt ist Stix-Hackl mit 120 Akten gleichzeitig befasst - Tendenz steigend.
Belastung und Entlastung
"Eine unglaubliche Herausforderung" sei denn auch die Erweiterung der Union auf 25 Mitgliedstaaten, sagt Stix-Hackl. Und nennt drei Gründe: Es kommen neue Rechtssysteme hinzu, die Erweiterung müsse vom Gerichtshof organisatorisch bewältigt werden, und in Bezug auf die notwendigen Übersetzungen steigen die Sprachkombinationen von derzeit 110 auf 380 Möglichkeiten. Nicht weniger als die Hälfte der Verfahrenszeit verschlingen schon jetzt die Übersetzungsarbeiten, denn: "Jeder soll sein Recht in seiner Sprache verstehen", unterstreicht die Österreicherin.
Folglich könnte es Einschnitte geben, damit nicht die Verfahren am Gerichtshof (sie erstrecken sich im Schnitt auf zwei Jahre) noch länger dauern.
Christine Stix-Hackl, Mutter einer schulpflichtigen Tochter, kommt ebenso wie ihr österreichischer Kollege vom Gericht erster Instanz Josef Azizi der rechtswissenschaftlichen Lehrtätigkeit nach, u.a. an der Wirtschaftsuniversität Wien, Donau Universität Krems und Universität St. Gallen.