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"Jeder spioniert jeden aus"

Von Nancy Benac

Politik

Washington - Diamantenlager, tote Briefkästen, Schweizer Bankkonten. Die Geschichte um Robert Philip Hanssen, den mutmaßlichen Moskauer Spion beim FBI, liest sich wie ein mit allen Klischees ausgestatteter Spionageroman - und wirft zugleich ein Licht auf die anhaltenden Intrigen und Ängste im Ost-West-Verhältnis.


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"Spionage und Gegenspionage gibt es noch und wird es auch weiter geben", sagt FBI-Direktor Louis Freeh nach der Festnahme Hanssens. "Dieser Fall ist in der Vergangenheit verwurzelt, aber er ragt auch ganz klar in die Gegenwart hinein."

Zwar ist der Kalte Krieg zu Ende, Russland wird nach Ansicht von Geheimdienstexperten auch nicht länger als Feind eingestuft. Aber auch noch nicht als verlässlicher Freund. "Man weiß nie, was ein anderer Staat im Sinn hat, und wer heute ein Freund ist, kann morgen ein Feind sein", erklärt Loch Johnson von der Universität von Georgia, der bereits der Clinton-Regierung und Parlamentsausschüssen als Berater zur Seite stand. Außerdem könne Russland den Vereinigten Staaten noch immer höchst gefährlich werden: "Russland verfügt immer noch über die Kapazitäten, die USA innerhalb von 30 Minuten zu zerstören", sagt Johnson. Neben militärischen Geheimnissen stehen politische und wirtschaftliche Informationen auf der Zielliste der Spione.

"Beschuldigungen der Spionage erinnern uns daran, dass wir in einer gefährlichen Welt leben, einer Welt, die nicht immer die amerikanischen Werte teilt", mahnte auch Präsident George W. Bush. Und als "internationales Ziel in einer gefährlichen Welt" sieht Justizminister Ashcroft die USA.

Russland hat nach Einschätzung von Beobachtern seine Spionageaktivitäten unter Boris Jelzin nicht reduziert. Unter dessen Nachfolger, dem ehemaligen KGB-Mitarbeiter Wladimir Putin, wird eher noch eine Ausdehnung erwartet. Nicht zuletzt gelte es angesichts des geplanten US-Raketenabwehrsystems und der NATO-Ost-Erweiterung, die Schritte des Westens genau zu beobachten, heißt es. Ebenso bleiben aber auch die amerikanischen Spione gut im Geschäft. Nachdem die Geheimdienstausgaben der USA nach dem Kalten Krieg zurückgingen, sind sie in den vergangenen Jahren wieder gestiegen. Sie werden auf rund 30 Milliarden Dollar (32,8 Mrd. Euro/451 Mrd. S) in diesem Jahr geschätzt. "Jeder spioniert jeden aus - das ist die Faustregel", sagt der amerikanische Wissenschaftler Steve Aftergood.n Sogar befreundete Länder schnüffeln ihre Partner aus. Bekannt wurde etwa der frühere Militärbeobachter Jonathan Pollard, der 1985 verurteilt wurde, weil er amerikanische Geheimnisse an Israel verriet. In der jüngeren Vergangenheit machten Vorwürfe Frankreichs Schlagzeilen, dass ein Netz namens Echelon unter Dirigentschaft der USA die Unternehmen seiner europäischen Verbündeten ausspioniere.